Promijagd
einigten sie sich, schon am Bahnhof Friedrichstraße, wo es längst nicht so voll war, in die S-Bahn zu steigen. Dorthin kam Mannhardt von Alt-Tegel aus in 20 Minuten mit der U6.
Und richtig, das Abenteuer Anreise nahm ein glückliches Ende, eine halbe Stunde vor Anpfiff des Spiels stand Mannhardt völlig unversehrt am Eingang des Olympiastadions. Man musste den Strichcode am Ende der Eintrittskarte in einen Automaten stecken, dann öffnete sich das Drehkreuz. Dahinter erwartete ihn ein Wachschutzmann, der ihn so sorgfältig abtastete, als würde er eine El-Al-Maschine nach Jerusalem besteigen wollen.
»Das ist schön, dass Sie mir in meinem hohen Alter so viel kriminelle Energie zutrauen«, sagte Mannhardt und musste daraufhin zur Strafe für seine Unbotmäßigkeit auch noch seine Schlüssel aus der Tasche holen, um nachzuweisen, dass sie kein Stilett waren. Schließlich saß er aber doch auf einem grauen Schalensitz im Block N, das war auf der sogenannten Gegentribüne. Links von ihm hatte Narsdorf Platz genommen, rechts sein Enkel. Entspannt ließ er die Bilder auf sich einwirken. Das Wetter war herrlich, Vorfreude erfüllte ihn. Ärgerlich waren nur die blaue Aschenbahn, widernatürlich für ihn, und das Dach, das aus dem weiten Rund des Stadions eine enge Halle machte. Ohne Deckel war die Schüssel schöner gewesen. Wenig erfreulich waren auch die beiden blau-weiß gekleideten Fans, die sich in die Reihe vor ihnen platzierten. Der eine trug einen Hut in Form eines Baumkuchens, der ihm die Sicht versperrte, der andere trank ein Bier nach dem anderen und schwitzte es postwendend wieder aus, worauf es anhaltend nach Kuhstall roch.
»Hach, ist der Rasen grün«, sagte Mannhardt.
»Und so schön gemustert.«
Hertha spielte gegen den 1. FC Nürnberg, und Mannhardt fragte erstaunt, warum die denn den Maxl Morlock nicht aufgestellt hätten.
»Wer ist Maxl Morlock?«, fragte sein Enkel.
»O Gott!«, rief Mannhardt. »Das ist ja so, als wenn du als Jurist nicht wüsstest, wer Savigny war.«
Als die Mannschaftsaufstellungen durchgegeben wurden, erreichte der Lärm Dezibelstärken, die Mannhardt zu seinen Ohrenstöpseln greifen ließen. Zwar war dadurch kein Small Talk mit seinen Nachbarn mehr möglich, es ersparte ihm aber gesundheitlichen Schaden.
Das Spiel begann, es begann vor sich hinzuplätschern. Für Hertha ging es um nichts mehr, und die Nürnberger hatten nicht so recht realisiert, dass sie eigentlich siegen mussten, um dem Abstieg zu entgehen. Vor einem Jahr waren sie hier im Olympiastadion Pokalsieger geworden und noch immer geblendet von ihrer eigenen Größe. Was Mannhardt in der ersten Halbzeit hinderte, wegzudösen, waren die Zwischenergebnisse der anderen Bundesligaspiele, die regelmäßig auf der Videowand erschienen. Immerhin hatte er jetzt Panteli ć , den Serben, der bei Hertha ab und an für Tore sorgte, den langen Jan Koller, den Tschechen, und Charisteas, den griechischen EM-Helden des Jahres 2004, einmal live gesehen.
»Nun kann ich ja beruhigt sterben«, sagte er zu Orlando. Zuvor regte er sich noch darüber auf, dass die Millionarios unten auf dem Rasen nur Kümmerliches boten und die Fans wie der Stadionsprecher umso mehr lärmten, je weniger Fußballkunst und echte Spannung geboten wurden.
Als ihm sein linker Ohrenstöpsel herausfiel, hörte er Narsdorf sagen, dass er Serben in deutschen Mannschaften gar nicht gern sehen würde, weder bei Hertha noch bei den Basketballern von Alba Berlin. »Man kann nicht wissen, ob die nicht auch in Srebrenica dabei waren.«
Mannhardt konnte nichts antworten, weil in diesem Augenblick ein Nürnberger gefoult wurde, und als er den sterbenden Schwan spielte, brüllte ein Depp hinter ihnen: »Hubschraubereinsatz!«
Endlich kam der Halbzeitpfiff und Mannhardt nutzte die Gelegenheit, auf die Toilette zu eilen. Dort wurde es so spannend wie in den 45 Minuten zuvor nicht ein einziges Mal, da sein Pinkelbecken mit eklig gelbem Urin angefüllt war. Nun ging, während er blank gezogen hatte, plötzlich die Spülung an und spritzte ihm die Brühe an die Hose. Nicht nur das, auch sein Penis bekam etwas ab, und er infizierte sich mit Gonorrhöe und AIDS. Mindestens. So seine Horrorvision, doch nichts passierte, und die zweite Halbzeit wurde besser als die erste, was auch daran lag, dass der Torwart der Herthaner zum besten Mittelfeldspieler der Mannschaft avancierte, weil seine Abschläge alle Steilpässe waren und die Nürnberger in Gefahr gerieten, ein Tor zu
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