Promijagd
sehr bald bewusst geworden, dass die von Frauen ausgelöste sexuelle Erregung, die zeitweise Suchtcharakter angenommen hatte, mit einer höchst dysfunktionalen Nebenwirkung verbunden war: seiner Abhängigkeit von Frauen. Das entlarvte die in seinem männlichen Autonomiewunsch enthaltene Idee vollkommener Beherrschung und Kontrolle der Welt als wahnhafte Illusion. Angefangen von seiner Mutter über seine Schwester bis hin zu seinen Geliebten: Alle hatten Macht über ihn – und das widersprach seinem Selbstbild. Das begehrte Objekt Frau entscheidet über Befriedigung und Enttäuschung, es ist das eigene sexuelle Begehren, das ihm die Kontrolle nimmt – und er macht dafür die Frauen verantwortlich und hasst sie deswegen. Ein anderer Faktor verstärkt diesen Hass: der Selbstmord seiner Mutter. Da war er gerade einmal acht Jahre alt, und er sieht es als Verrat an. So kommt es, dass bei M., hat er eine Frau vor sich auf dem Operationstisch liegen, zwanghaft der Gedanke aufkommt, sie zu töten. Sein Beruf, das Skalpell in der Hand, leistet dem Vorschub. Es ist M.s Aufgabe, Frauen noch verführerischer zu machen. Verlassen sie seine Klinik, werden sie für einen Mann noch bedrohlicher – und deshalb verstärkt sich die Abwehr ihnen gegenüber.‹
Das stand auf dem Computerausdruck, den Corinna Natschinski ihm übergeben hatte, und Martin Mägdesprung verstand genug vom Fach, um dem Kollegen recht zu geben. Er erinnerte sich noch genau an die Anamnese, als er Narsdorf gegenüber gescherzt hatte, es gebe nur eine Therapie für ihn, die Erfolg verspreche: die, ihn zum Homosexuellen zu machen.
Im Augenblick war ihm jedoch gar nicht zum Scherzen zumute, denn für den Fall, dass seine Zwangsvorstellungen publik wurden, konnte er seine Klinik schließen und anschließend bestenfalls zu Schering in die Forschung gehen. Auch privat würden sich die Frauen vor ihm zurückziehen. Er hatte gestern demzufolge gar nicht anders gekonnt, als mit der Erpresserin zur Bank zu fahren, Geld abzuheben und zu zahlen. Vorerst hatte er keine andere Wahl, irgendwann fand sich vielleicht eine elegante Lösung. Abwarten, das Ganze aussitzen, hoffen.
Seit er sich von Uta getrennt hatte, lebte er allein in dem großen Haus in der Wernerstraße. Sabrina, seine Neue, weigerte sich, zu ihm zu ziehen. Sie hatte ihr eigenes Reich und wollte es nicht aufgeben.
Mägdesprung schlurfte in die Küche. Er fühlte sich wie ein Greis. Sein Leben war eine einzige Sackgasse. Wie lange war sein Doppelleben noch auszuhalten, ehe sich ein Krebs in seinem Körper ausbreitete? Mit Doppelleben meinte er seine elende Existenz, wenn er allein war, derzeit auch noch Opfer einer Erpressung, und dagegen sein glanzvolles Auftreten in seiner Praxis und der Klinik, in der er operierte, immer noch ein Gott in Weiß, der sagenhafte Honorare fordern konnte.
Seine Reinemachefrau, eher wohl das, was man früher Haushälterin genannt hatte, musste jeden Augenblick kommen, und deshalb beeilte er sich mit dem Frühstücken. Ein Ei musste sein, da hatte er einen Spruch seines Vaters verinnerlicht: ›Ei gibt wieder Ei.‹ Allerdings … Es schmeckte ihm nicht mehr und er ließ die Hälfte im Becher zurück.
Die Erpressung hatte ihm zusätzlich den Appetit verdorben. Jemand war auf Narsdorfs Festplatte vorgedrungen. Der einzige Trost war, dass Narsdorf ebenso in der Tinte saß wie er. Wurde alles publik, war auch dessen Existenz vernichtet. Das Schlimme war, dass sie sich nicht wehren konnten. Das Unglück war von einer Sekunde zur anderen über sie gekommen, und er verglich sich mit den Opfern des Orkans in Birma und des Erdbebens in China. Höhere Gewalt. Der Mensch denkt, Gott lenkt. Sein Vater hatte immer gesagt: ›Das Schicksal macht vor keinem Halt‹. Immer wieder dachte Mägdesprung: Warum lebe ich nur? Die Kraft zum Selbstmord hatte er nicht.
Als seine Haushälterin erschien, legte er den Schalter um und war im Nu der große Mägdesprung. Er hatte sich, um ja nicht in Versuchung zu geraten, die hässlichste Frau ausgesucht, die seine Agentur im Angebot hatte. Andrea war so ausgemergelt, wie es sich für eine Frau gehörte, die jahrelang an der Nadel gehangen hatte. Jetzt war sie clean und studierte mal dieses, mal jenes, vor allem aber Germanistik, Kunstgeschichte und Ethnologie. Sie lebte in einer Art WG in der Neuköllner Donaustraße und verdiente sich ihr Geld mit Jobs wie dem bei Mägdesprung.
»Bei Ihnen komme ich mir immer vor wie im Film«, sagte sie, als sie
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