Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Promijagd

Promijagd

Titel: Promijagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
Vom Netzwerk:
rückte sich die Brille zurecht, und als er genauer hinsah, bemerkte er, dass jemand das Schlüsselloch verstopft hatte. Mit Sicherheit Bulkowski, damit er wieder auf die Straße hinunter musste und der Kugelstoßer zur zweiten Attacke ansetzen konnte.
    Völlenklee war einen Augenblick lang ratlos und griff zum Handy, um Corinna anzurufen, ihr zu schildern, was in den letzten zehn Minuten geschehen war und zu fragen, ob ihr etwas einfallen würde.
    »Nein, aber am besten, du gehst in ein Hotel und ich komme später nach.«
    »Ich hasse Hotels!«, rief Völlenklee.
    »Dann übernachten wir eben im Park.« Völlenklee hatte eine Idee. »Wie ist es denn bei Ritchie im Bauwagen?«
    Corinna lachte. »Ha, ha, ha, unsere alte WG.«
    »Soll ich den Schlüsseldienst holen?«, fragte Völlenklee.
    »Ja, bitte.«
    »Okay.«
    Nachdem Corinna sich verabschiedet hatte, rief Völlenklee die Auskunft an und ließ sich die Nummern von den drei Schlüsseldiensten geben, die ganz bei ihm in der Nähe angesiedelt waren. Bei den ersten beiden nahm keiner ab, wahrscheinlich, weil alle Fußball sehen wollten, der dritte Spezialist sagte ihm, er würde zwar gerne kommen, allerdings erst nach Spielschluss, und das könne dauern, falls es eine Verlängerung und ein Elfmeterschießen geben sollte. Nachdem sie ein paar Worte gewechselt hatten, stellte sich heraus, dass sie sich von früher kannten und einmal zusammen Volleyball gespielt hatten.
    »Okay, Klaus«, erklärte Völlenklee schließlich, »mir reicht es, wenn du anschließend kommst. Ich stehe ab 22.30 Uhr unten vor der Haustür. Vorher gehe ich zu Ritchie und lege mich bei dem in den Bauwagen. Mir ist irgendwie nicht gut. Den Ritchie müsstest du auch noch kennen …«
    Sie redeten einen Moment über Ritchie, danach klappte Völlenklee sein Handy zu und überlegte. Er musste sich unbedingt hinlegen, und da war Ritchies Bauwagen wirklich die beste Lösung. Er machte sich auf den Weg, weit war es ja nicht. Bereits von Weitem sah er, dass draußen eine portugiesische Fahne hing. Typisch Ritchie, dachte Völlenklee, immer für das sein, was gegen Deutschland spielte. Er stieg die Stufen hinauf und klopfte gegen die Tür. Alles war aus Holz und gab einen kräftigen Klangkörper ab, sodass es gewaltig dröhnte. Von drinnen kam kein freudiges Hallo, sondern ein elendes Stöhnen. Völlenklee stieß die Tür auf und wusste sofort, was Sache war: Ritchie hatte sich eine Überdosis verpasst oder war an einen irgendwie verunreinigten Stoff geraten und drohte zu kollabieren. Er hechelte lediglich, war leichenblass und nicht mehr ansprechbar. Völlenklee ließ mehrfach seine flache Hand auf Ritchies Wangen klatschen, doch nichts passierte. Was blieb ihm anderes übrig, als 112 anzurufen. Der Rettungswagen kam, und man brachte den Jungen ins gegenüberliegende Urban-Krankenhaus. Völlenklee fuhr mit und erledigte die Formalitäten in der Notaufnahme. Ritchie wurde auf eine Trage mit Rädern gelegt und verschwand hinter einer Glastür. Völlenklee sah offenstehende Türen zu mehreren Untersuchungsräumen und war nahe daran, sich auf eine der Liegen zu werfen und zu rufen. Er könne nicht mehr, man solle ihn hier behalten und zu Ritchie ins Zimmer stecken.
    Beide waren sie Verlorene, Ritchie ebenso wie er. Die Gesellschaft war wie eine Fabrik: So gut die Produktion auch lief, Ausschuss gab es immer, und sie beide gehörten zu diesem Ausschuss. Weg damit auf die menschlichen Müllhalden: Die Krankenhäuser, die Pflegeheime, die Gefängnisse, die Irrenanstalten.
    Völlenklee riss sich zusammen und rief Ritchies Mutter an. Sabrina Immelborn reagierte recht ungehalten.
    »Was ist? Ich sehe gerade Deutschland gegen Portugal.«
    »Und ich sehe gerade Ritchie, wie er auf die Intensivstation gebracht wird«, sagte Völlenklee, worauf es eine kleine Pause gab und er fragen musste, ob sie noch dran sei.
    »Ja. Wo denn?«
    »Das Spiel kann man auch im InfoRadio hören«, sagte Völlenklee.
    »Wo denn, habe ich gefragt?«
    »Im Urban-Krankenhaus«, antwortete Völlenklee. »Er hat gegenüber im Bauwagen gelebt.«
    »Gut. Ich komme.«
    »Ich warte in der Notaufnahme.«
    Völlenklee setzte sich auf eine Bank und döste vor sich hin. Die depressive Stimmung zog ihn noch weiter runter. Dass Corinna jetzt mit dem Sektglas in der Hand in der Galerie stand und sich mit einer Schar aufgeblasener Schwätzer amüsierte, ärgerte ihn. »Kultur ist Scheiße!«, murmelte er. Das einzig Wahre im Kosmos waren Zahlen und

Weitere Kostenlose Bücher