Promijagd
Formeln, Worte und Bilder waren nur Schrott. Einzig die Musik ließ er gelten. Allerdings nur, solange keiner das Maul aufriss und sang.
Zunächst dämmerte Völlenklee nur vor sich hin, bis er schließlich einschlief. Als Sabrina Immelborn plötzlich vor ihm stand und ihn anfauchte, statt ihm zu danken, erschrak er fürchterlich.
»Dass mein Sohn vor die Hunde geht, das habe ich nur dir zu verdanken!«
Völlenklee hatte Mühe zu realisieren, was da mit ihm geschah. »Wieso? Ohne mich wäre er in seinem Bauwagen krepiert.«
»Ohne dich und deine Kumpane wäre er nie in diesem Bauwagen gelandet!«, schrie sie, riss ihn hoch und beutelte ihn durch.
»Und ohne dich alte Kuh und deinen versoffenen Alten wäre er nie an Drogen geraten!«, brüllte Völlenklee. »Du Miststück!«
Sabrina Immelborn holte aus, um ihm kräftig eine runterzuhauen, doch Völlenklee konnte sich schnell genug ducken, sodass ihre Hand gegen einen Garderobenständer krachte und heftig zu bluten anfing.
Völlenklee ergriff die Flucht und stürmte auf die Straße hinaus. Böller flogen durch die Gegend und explodierten, es war wie zu Silvester. Die Deutschen mussten ein Tor geschossen haben. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass das Spiel noch lange nicht zu Ende war. Demzufolge ließ der Schlüsseldienst noch eine Weile auf sich warten. Völlenklee überlegte nicht lange, sondern nahm Kurs auf Ritchies Bauwagen. Dort konnte er sich einschließen und eine Runde schlafen. Sich irgendwo in eine Kneipe zu setzen und inmitten von lauter Proleten Fußball zu sehen, war nicht sein Ding.
23
Um dem Fußballwahn zu entfliehen, hatte Werner Schwenz eigentlich ins Konzert gehen wollen, doch auf dem Weg in den Kammermusiksaal war sein Husten so stark geworden, dass er es nicht gewagt hatte. Es war eine Horrorvorstellung für ihn, laut losbellen zu müssen, wenn die Sängerin gerade zu einem der schönsten Schumann-Lieder ansetzte. Dann lieber die Karte verfallen lassen. Sich in den Vorraum zu stellen und anderen zuzuflüstern, ob jemand eine Karte bräuchte, widerstrebte ihm. Seit er sich von Bernhard Jöllenbeck getrennt hatte, ging er nur noch allein in die Philharmonie, ins Kino oder ins Theater.
Werner Schwenz war nach einem heftigen Hustenanfall an der Kreuzung Potsdamer, Haupt-, Langenscheidtstraße und Willmanndamm aus dem Bus gestiegen und überquerte nun die Straße, um wieder nach Hause zu fahren. Er litt unter leichter Nachtblindheit und steuerte deswegen abends nur ungern ein Auto. Außerdem hasste er die lange Suche nach einem Parkplatz. Er wohnte in der Clausewitzstraße und damit ganz in der Nähe des U-Bahnhofs Adenauerplatz. Jahrelang war er mit der U-Bahn bis Kleistpark gefahren und dort umgestiegen in den Bus zur Philharmonie, aber heute war er zum S-Bahnhof Charlottenburg gelaufen und von dort zum Innsbrucker Platz gefahren, um auf den Bus der Linie M48 zu warten. Am Kleistpark hatte ihn erneut der Husten gepackt und er war ausgestiegen. Der Grund, die U-Bahn zu meiden, war ein ganz einfacher: Er hätte den Bahnhof Bayerischer Platz passieren müssen – und dazu hatte ihm die Kraft gefehlt. Nur nicht die Stelle sehen, an der Bernhard Jöllenbeck von den Rädern eines einfahrenden Zuges getötet worden war.
Schwenz war immer noch der Ansicht, dass Jöllenbeck von Ritchie auf die Gleise gestoßen worden war. Ritchie erschien allen immer so sanftmütig, dabei konnte er ungemein aggressiv werden, wenn er nicht schnell genug an Drogen herankam. Jöllenbeck hatte sich geweigert, ihm Geld zu geben, da war er ausgerastet. Schwenz verfluchte die Kripo, dass die nicht in der Lage war, Ritchie zu überführen. Schaffte sie es nicht, musste er die Sache in die Hand nehmen. Irgendwie. Und Jöllenbeck rächen.
Der Bus kam nicht, und plötzlich fühlte sich Werner Schwenz getrieben, seine Schwäche zu überwinden und einen Blumenstrauß dort auf den Bahnsteig zu legen, wo Jöllenbeck den Tod gefunden hatte. Dazu eine brennende Kerze. Überall machte man das, wenn Freunde den Tod gefunden hatten. Es war eine ausgefallene Idee, und wahrscheinlich hätte er sie nicht gehabt, wenn sein Fieber nicht gestiegen wäre. So aber kaufte er einem der herumziehenden dunkelhäutigen Händler eine langstielige dunkelrote Rose ab und folgte dem Mann ins nächste Lokal, um den Wirt zu bitten, ihm für einen Euro eine der auf den Tischen stehenden Kerzen zu überlassen. Der staunte zwar, tat ihm augenzwinkernd den Gefallen. Schwenz stieg mit Rose und
Weitere Kostenlose Bücher