Propaganda
haben.
Der moderne Propagandist studiert sein Forschungsobjekt objektiv und systematisch, wie im Labor. Wenn er eine landesweite Verkaufskampagne vorbereitet, analysiert er zunächst die Zeitungsberichterstattung, führt Befragungen durch oder setzt gleich gezielt beim neuralgischen Punkt der Kampagne an. Er untersucht zum Beispiel, welche Eigenschaften eines Produkts an Attraktivität verloren haben, und in welche Richtung sich der Publikumsgeschmack gerade wendet. Wenn es um die Auswahl des Familienautos geht oder um den Kauf von Hemden und Anzügen für den Mann, wird er sicherlich untersuchen, ob nicht die Ehefrau die eigentliche Kaufentscheidung trifft.
Wissenschaftlich präzise Ergebnisse sind bei dieser Recherche nicht zu erwarten, da sich viele Elemente der Ausgangssituation seiner Kontrolle entziehen. Vielleicht kann er einigermaßen sicher voraussagen, dass unter günstigen Umständen die politische Verständigung zwischen zwei Ländern erleichtert werden kann durch einen internationalen Flug, der eine Atmosphäre des guten Willens zu erzeugen vermag. Aber er kann nicht vorhersagen, ob dieser Flug nicht doch durch ein unerwartetes Ereignis in der öffentlichen Wahrnehmung überschattet wird, oder ob nicht ein anderer Flieger einen Tag vorher zu einer noch viel spektakuläreren Unternehmung startet. Selbst in dem eng eingegrenzten Feld der Massenpsychologie gibt es zwangsläufig ein relativ großes Maß an Unsicherheit, soweit es um Berechenbarkeit geht. Ebenso wenig wie die Volkswirtschaftslehre und die Soziologie kann Propaganda eine exakte Wissenschaft werden, aus dem schlichten Grund, dass der Gegenstand ihrer Untersuchung der Mensch ist.
Wenn man die Anführer beeinflussen kann, ob mit oder ohne ihr Einverständnis und Wissen, kann man das automatisch auch mit der von ihnen gelenkten Gruppe tun. Und das funktioniert nicht nur, wenn Menschen gemeinsam an einer Versammlung oder einer Demonstration teilnehmen. Da der Mensch von Natur aus ein Gemeinschaftswesen ist, empfindet er auch dann als Mitglied der Herde, wenn er allein zuhause im stillen Kämmerlein sitzt. Die durch den Einfluss der Gruppe geprägten Verhaltensmuster sind sogar dann noch aktiv.
Ein Mann sitzt zum Beispiel in seinem Büro und überlegt, welche Aktien er kaufen soll. Natürlich bildet er sich ein, dass er die Entscheidung allein auf Basis seiner eigenen Urteilskraft fällt. In Wirklichkeit wird sie jedoch aus einem Gemisch von Eindrücken resultieren, die äußere Reize bei ihm hinterlassen haben, und die nun unbewusst seine Gedanken bestimmen. So kauft er die Aktie einer bestimmten Eisenbahngesellschaft, weil am Tag zuvor in der Zeitung über sie berichtet wurde und sie ihm deshalb noch besonders gegenwärtig ist; oder weil er sich an ein gutes Menü erinnert, das er in einem ihrer Schnellzüge zu sich genommen hat; oder weil das Unternehmen seine Mitarbeiter gut behandelt und als ehrlich gilt; oder weil er gehört hat, dass der Bankier J. P. Morgan auch zu den Aktionären zählt.
Trotter und Le Bon kamen zu dem Ergebnis, dass eine Gruppe nicht im eigentlichen Sinne des Wortes »denkt«. Anstelle von Gedanken stehen bei der Gruppe Impulse, Gewohnheiten und Gefühle. Um zu einer Entscheidung zu gelangen, neigt sie gewöhnlich als Erstes dazu, dem Vorbild eines Führers zu folgen, dem sie vertraut. Das ist eine der am besten abgesicherten Erkenntnisse der Massenpsychologie. So ist zu erklären, dass ein Urlaubsort an Ansehen gewinnt oder verliert, dass ein Ansturm auf eine bestimmte Bank einsetzt oder ein Börsenkrach ausbricht, dass ein Buch zum Bestseller oder ein Film zum Kassenschlager wird.
Steht kein Vorbild eines Führers zur Verfügung, muss die Herde für sich selbst denken. Dabei greift sie zurück auf Klischees, Schlagworte oder Bilder, die für ein ganzes Bündel von Ideen und Erfahrungen stehen. So reichte es noch vor wenigen Jahren aus, einem Wahlkandidaten bestimmte »Interessen« zu unterstellen, damit die Wähler sich in Scharen von ihm abwandten, weil jeder, der »Interessen« verfolgte, notwendigerweise unter Korruptionsverdacht stand. Neuerdings erfüllt das Wort »Bolschewik« den gleichen Zweck, wenn die Öffentlichkeit von einer bestimmten Handlungsweise abgeschreckt werden soll.
Wenn der Propagandist sich eines alten Klischees bedient oder ein neues erzeugt, kann er bei der Masse mitunter ganze Gefühls-Cluster auslösen.
Im Krieg waren die Armeekrankenhäuser in Großbritannien in Verruf geraten, weil
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