Prophetengift: Roman
Donnerschlag ihn ins Bewusstsein zurückrief.
Er schaute sich verstohlen in dem dunklen Zimmer um, weil er für einen Moment vergessen hatte, wo er war, bis er den Lichtschein entdeckte, der unter der geschlossenen Tür hindurchdrang.
Sebastian schaltete die Leselampe neben dem Bett ein und griff nach seiner Rolex, die auf dem Nachttisch lag. Es war fast sieben.
Er ging ins Bad, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und fuhr sich mit dem Handtuch über den Kopf. Als er zufällig sein Spiegelbild im Badezimmerschrank entdeckte, war er erschrocken über den fahlen Teint und den ängstlichen Gesichtsausdruck des jungen Mannes, der ihm aus dem Spiegel entgegenschaute.
Das macht mich fertig.
Rasch putzte er sich die Zähne und wechselte das verschwitzte T-Shirt.
Abgehacktes Hecheln erreichte sein Ohr, und als er dem Geräusch folgte, entdeckte er Maxi, der vor der geschlossenen Tür saß, den Kopf zurückgedreht hatte und Sebastian mit flehentlichen schwarzen Augen ansah.
»Keine Sorge, kleiner Kerl.« Sebastian durchquerte den Raum und langte nach dem Türgriff. »Geh zu deinen Mamas.«
Sobald die Tür offen war, sauste Maxi los wie ein Rennpferd aus der Startmaschine. Kurz darauf holte Sebastian den kleinen Hund im Esszimmer ein, wo die Damen sich gerade zum Essen hinsetzten.
»Ich bin froh, dass Gottes kleiner Wecker dich wach bekommen hat«, sagte Tess. »Wir wollten gerade die Tür aufbrechen.«
Sebastian zog einen Stuhl heraus, setzte sich hin und rieb sich das Gesicht.
Lass gut sein. Es war nur ein Traum .
Er schaute von Libby zu Tess. »Solche Donnerschläge habe ich nicht mehr gehört, seit ich klein war«, bemerkte er mit vorgetäuschter Munterkeit.
»Da draußen« – Tess wies auf die gläsernen Schiebetüren – »treffen die kalten Luftströmungen aus Alaska mit der feuchten subtropischen Luft aus Hawaii zusammen, was gelegentlich zu höchst dramatischen Gewittern führt. An manchen Nächten prasselt der Regen auf unser armes altes Dach, als würde es Billardkugeln hageln.«
»Und was macht das Dach?«, fragte Sebastian. »Hält das Flickwerk noch?«
»Bislang ja«, erwiderte Tess mit einem dankbaren Lächeln. »Ich glaube, Sie haben ein neues Betätigungsfeld für sich entdeckt.«
»Wen, sagten Sie, wollten Sie in Sausalito besuchen?«, erkundigte sich Libby. Tess fing an, großzügige Portionen mit dampfendem Eintopf in die Suppenschalen zu füllen.
»Mein Kumpel Coby wohnt da in einem alten Pfarrhaus oben am Berghang«, sagte Sebastian und legte sich die Serviette auf
den Schoß. »Es hat bewachte Tore und Videokameras und ist ziemlich sicher, also muss ich mir keine Gedanken machen, dass jemand mich ausspionieren könnte.« Er blies auf den dampfenden Löffel in seiner Hand und nahm einen Bissen von dem Eintopf. Er war salzig, cremig und voller Gemüsestücke und Klößchen. Lecker .
»Und wie sieht Ihr Plan aus?« Tess reichte ihm den Korb mit knusprigem Stangenbrot. »Haben Sie vor, Ihre Position als Religionsführer ganz aufzugeben?«
»Ich habe nie gesagt, dass ich das in Erwägung ziehe«, log er und nahm den Brotkorb. »Warum?«
»Weil wir bezweifeln«, warf Libby ein, »dass jemand, der nur ein bisschen Ruhe und Entspannung will, eine solche Reise unternehmen würde – ganz allein.«
»Wie ich schon sagte, ich wollte nur mal damit anfangen, selbst zu entscheiden, wie es mit meinem Leben weitergehen soll. Außerdem brauchte ich etwas Abstand von meiner Mutter.«
»Blödsinn«, bemerkte Tess kühl und nahm einen Schluck von ihrem Pinot Noir.
Er blickte finster, aber sie erwiderte seinen Blick ungerührt. Wissend.
»Leute laufen nicht weg, solange nicht irgendwas Schlimmes passiert«, sagte Libby mit ihrer besten Therapeutinnenstimme. »Normalerweise passiert etwas, das seelischen Schmerz auslöst, und das hat einen Fluchtversuch zur Folge.«
»Mit anderen Worten«, fügte Tess hinzu, »kluge Kids laufen weg, nachdem Papa sie einmal zu oft zusammengeschlagen hat, und die nicht so klugen Kids denken, dass er sich schon ändern wird. Und Sie machen einen ziemlich cleveren Eindruck auf mich.«
Sebastian seufzte lautstark. »Es sind ein paar verrückte christliche Extremisten hinter mir her. Sie halten mich für den neuen
Satan und es gab Drohungen, also versuche ich sie von meiner Spur abzubringen. Das ist alles.«
Tess nickte mit erhobenen Augenbrauen. »Das könnte es teilweise erklären.«
»Aber es kann nicht alles sein«, ergänzte Libby. »Kein Klient, der mir
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