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Prophetengift: Roman

Prophetengift: Roman

Titel: Prophetengift: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Nolan
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bin? Ich kenne sie. Jedes Mal, wenn sie eine einsame Scheibe Brot in den verdammten Toaster legt oder den Korkenzieher aus der Besteckschublade holt, wird sie trauern. Stumm. Und dass ich nicht da sein werde, zum allerersten Mal, um ihr in ihrer Trauer beizustehen, das ist fast mehr, als ich ertragen kann.« Tränen traten ihr in die Augen und sie schüttelte den Kopf. »Mehr als alles andere möchte ich, dass sie nicht allein ist, dass sie nicht einsam wird. Ich wäre furchtbar enttäuscht, wenn sie keine andere Frau findet, mit der sie ihr Leben teilen kann.« Libby versank für einige Augenblicke in Nachdenken und richtete dann ihren intensiven Blick auf Sebastian. »Könnten Sie vielleicht?«, fragte sie ihn endlich mit fast unhörbarer Stimme. »Würden Sie das tun, bitte?«
    Sebastian erwiderte ihren Blick mit gleicher Intensität. »Sie wollen, dass ich ...?«
    »Sie haben es doch schon getan.« Libby zuckte mit den zierlichen Schultern. »Auf ein wenig mehr kommt’s da doch nicht an.«
    »Sind Sie sicher, dass Sie das wollen?«
    Libby lächelte.
    »Ich versuchs«, sagte er, »aber versprechen kann ich nichts. In die Vergangenheit zu sehen ist eine Sache, denn was passiert ist, ist passiert, aber die Zukunft hat noch so viele Variablen. Nichts ist sicher.«
    Libby senkte den Blick und nickte. »Ich verstehe vollkommen. Aber selbst ich hatte schon Vorahnungen, die eingetroffen sind. Würden Sie es bitte einfach versuchen?«
    Der Schmerz und die Sehnsucht in ihren Augen rührten ihn. »Ja, ich versuchs.«
    Sebastian atmete tief durch die Nase ein, hielt den Atem an und atmete durch den Mund aus. Das wiederholte er, bis seine Hände kribbelten und er sich schwerelos fühlte. Dann verblassten das Tosen der Brandung, der Regen, der auf das Dach
trommelte, und selbst Libbys Atemzüge ... und er sah Tess mit einer anderen Frau ... einer überschlanken Frau mit edlen Zügen und kurzem, welligem Grauhaar. Sie saßen zusammen in einem Café ... in einer Großstadt, in der lebhaftes Treiben herrschte – New York. Das Paar unterhielt sich lebhaft, und das glückliche Lächeln und die glänzenden Augen beider verrieten, wie sehr sie die Gesellschaft des Gegenübers genossen.
    Dann hörte er, wie Tess gegenüber der anderen Frau die Bedeutsamkeit des Datums erwähnte.
    »Ein Jahr«, murmelte Sebastian mit geschlossenen Augen. »Sie wird genau ein Jahr allein sein, und dann werden sie einander finden.«
    Als er die Augen öffnete und Libby anschaute, sah er Tränen auf ihren Wangen glitzern. »Das ist eine solche Erleichterung«, sagte sie mit brechender Stimme und betupfte sich das Gesicht mit einer Serviette. »Und da ich Jüdin bin, ist es nur angemessen, dass sie bis zur Jahrzeit wartet.« Sie lächelte ironisch. »Ein Jahr, und keinen Tag vorher.«
    »Bis zur Jahrzeit?«, fragte er.
    »Es ist bei uns Brauch, ein Jahr zu warten, bevor der Grabstein gesetzt wird; das signalisiert das offizielle Ende der Trauerzeit.«
    »Ein Jahr, und keinen Tag vorher«, wiederholte Sebastian und erwiderte das Lächeln.
    »Wie wärs mit Nachtisch?«, fragte Libby, die ihre Fassung wiedergewonnen hatte.
    Sebastian schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Ich hole ihn.«

21
    Freitagmorgen
     
    Der strahlende Sonnenaufgang am Morgen nach dem Sturm ließ Sebastian schlagartig wach werden. Er streckte die Arme über den Kopf und gähnte, während Maxi – der am Fußende des Bettes lag – ebenfalls die Pfoten streckte, mit steifen Gelenken und kurzzeitig zitternden Beinen.
    Sebastian stieg aus dem Bett, zog seine Boxershorts über, stellte sich ans Fenster und überschaute das Panorama. Die donnernde Brandung vom gestrigen Sturmabend war verschwunden und die Bucht lag friedlich da wie ein Bergsee. Sonnenlicht glitzerte, als wäre alles – Holz, Fels, Blatt und sogar der Sand – frisch geschrubbt worden, während oben am Himmel nur ein paar weiße Federwölkchen die Weite des buntstiftblauen Himmels unterbrachen.
    Sebastian duschte, zog sich an, ging nach unten und fand die Damen schließlich draußen unter einer Pergola, die an die Überreste des Kais angrenzte. Libby, die die Beine hochgelegt und mit einer dicken Decke zugedeckt hatte, kritzelte etwas auf einen gelben Schreibblock, während Tess in den dicken Wälzer vertieft war, den sie seit Sebastians Ankunft las. Offenbar hatte sie das Buch jetzt fast durch.
    Als er näher trat, hoben beide den Blick.
    »Gut geschlafen?«, fragte Tess.
    »Ja. Etwas an der Luft hier ist

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