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Prophetengift: Roman

Prophetengift: Roman

Titel: Prophetengift: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Nolan
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überflutet von Bildern. Sebastian bei einer Predigt. Sebastian bei der Essenausgabe an die Armen. Sebastian beim Shakehands mit Präsident Obama. Sebastian, der schallend mit Bill Clinton lachte. Sebastian, ohne Hemd, beim Zimmern einer Unterkunft für Obdachlose. Sebastian in Badehose beim Schwimmen mit Delfinen. Sebastian in einem umwerfenden Smoking bei einer Vanity - Fair -Party. Sebastian in Afrika beim Besuch einer AIDS-Station. Sebastian, der auf einer Fundraising-Veranstaltung der Menschenrechtskampagne mit Dragqueens lachte. Sebastian, schweißüberströmt und mit verzerrtem Gesicht auf der Via Dolorosa in Israel.
    Sebastian  ... Sebastian  ... Sebastian  ...
    Aber was Libby an den Fotos am meisten auffiel, war die stramme, virile Schönheit, die der junge Mann ausstrahlte – und
das war, wie sie rasch feststellte, kein Zufall. Es war klar, dass jedes der hoch aufgelösten Bilder aufgenommen und zurechtgeschnitten worden war, um ein anatomisches Detail ins rechte Licht zu rücken, und alle waren angetan, ein lüsternes Auge zu befriedigen: Ein aufklaffendes Hemd enthüllte einen Torso, vollkommen wie bei einer Skulptur, vom vorstehenden Adamsapfel bis hinunter zum straffen Adonisgürtel; eine erhobene Augenbraue über halb geschlossenen Türkisaugen, hervorgehoben von einem schiefen Grinsen; ein enges T-Shirt, das heroisch gebaute Brustmuskeln, Schultern und Oberarme zur Geltung brachte; ein Hinterteil, mit dem man Millionen von Jeans hätte verkaufen können; eine Schrittwölbung, die mehr als nur ein wenig ein Hingucker war.
    »Diese Frau hat wie eine Zuhälterin ihren eigenen Sohn verkauft«, stellte Libby trocken fest.
    »Genau mein Gedanke«, flüsterte Tess.
    »Er hat eine Menge durchgemacht.«
    »In der Tat«, stimmte Tess zu. »Im Vergleich zu ihr erscheint Mama Rose wie Mutter Teresa.«
    Libby linste sie über ihre Lesebrille hinweg an. »Es macht mich traurig, was mit dem Jungen passiert ist.«
    »Und in mir erweckt es den Wunsch, mal ein Wörtchen mit Miss Kitty zu wechseln«, fügte Tess finster hinzu. »Und was machen wir jetzt?«
    »Das Einzige, was wir tun können«, sagte Libby und hievte sich mit einem Stöhnen aus dem Stuhl hoch. »Menschlich sein.«

20
    Ein plötzlicher Donnerschlag ließ Sebastian die Augen weit aufreißen. Sein Herz hämmerte und seine Achseln waren schweißnass – ebenso wie das Kopfkissen.
    War das nur ein Traum? Was zum Teufel ist da gerade passiert?
    Er blinzelte zur dunklen Decke hoch, wo die Vision sich deutlich abzeichnete: Straff angezogene Fesseln schnürten seine Fuß- und Handgelenke. Sein ganzer Körper war gebunden und die Baumrinde grub sich in seinen Rücken. Die Position, in der er hing, ließ seine Schultern vor Schmerz brennen. Er versuchte sich an dem Holzpfahl hochzustemmen, um etwas von dem Druck von seinen Armen zu nehmen, aber seine bloßen Füße fanden nichts als Holzsplitter zum Festhalten und er rutschte immer wieder ab.
    Ein schöner junger Mann mit kupferfarbener Haut und zornigen dunklen Augen bückte sich und hielt eine brennende Fackel an das Heu. Die trockenen Zweige und das Brombeergebüsch, die zu Sebastians Füßen aufgehäuft waren, sahen aus wie ein gewaltiges Vogelnest.
    Es fing schnell Feuer.
    Sebastian hustete und seine Augen tränten. Ich werde bei lebendigem Leibe verbrennen! Er begann wie verrückt an seinen Fesseln zu zerren. Er zerrte und wand sich und zuckte und fluchte, als die Flammen seine Füße zu rösten begannen, und das Licht des Feuers flackerte auf den groben, augenlosen Gesichtern der Dörfler, die ihn umringten.
    »So beschwören wir dich«, begann der junge Henker zu intonieren, während er sich selbst rieb und provozierend die Hüften kreisen ließ, »jeglicher unreine Geist, jegliche satanische Macht, jegliche feindliche Sturmschar der Hölle, jegliche teuflische Legion, Horde und Bande: Ihr werdet ausgerissen und hinausgetrieben ...« Er zog sich seine Robe über den Kopf und die Flammen hoben die straffen Muskeln seiner tanzenden, nackten Gestalt hervor. »So beschwören wir dich, jeglicher unreine Geist, jegliche satanische Macht, jegliche feindliche Sturmschar der Hölle, jegliche teuflische Legion, Horde und Bande: Ihr werdet ausgerissen und hinausgetrieben ...«
    Während der junge Mann sexuell immer erregter wurde, wuchsen die Flammen. Und als Sebastians Gewand Feuer fing, wurden seine nutzlosen Traumschreie hinter schlafversiegelten Lippen gedämpft.
    Die Vision verblasste, als ein neuer

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