Prophetengift: Roman
Tess, ihm helfen herauszufinden, wie sein nächster Schritt aussehen könnte.
Er stand vom Bett auf, durchquerte den Raum und schaute in den Spiegel über der alten Frisierkommode aus Kirschholz. Der Regen trommelte stetig aufs Dach, und Sebastian dachte daran, wie er heute das Dach geflickt hatte, und erkannte, dass er zum ersten Mal in seinem Leben ehrlich mit seinen Händen gearbeitet hatte.
Er schaute zu den teefarbenen Flecken hoch, die sich wie Spinnweben über die trockene Decke zogen. Da muss ich wohl ganz ordentliche Arbeit geleistet haben, wenn es trocken bleibt, dachte er.
Sein Blick blieb an seinem Spiegelbild hängen und er lächelte sich an.
18
Donnerstagabend
»He, Hank, weißt du noch, dieser Artikel, den du mir gegeben hast«, sagte Chuck, »über diese neue Religion?«
Hank, der einen großen Topf Tomatensauce mit Knoblauch und Zwiebeln auf dem Herd hatte, fragte: »Was ist damit?«
»Weißt du noch, die hübsche kleine Frau, die in dem Artikel erwähnte wurde, die Mutter von diesem Messias-Kid?«
»Meinst du Kitty Black?«
»Also, du wirst es nicht glauben, aber ich hatte mal was mit der.«
Hank hörte auf, die Sauce umzurühren, schaute Chuck an und lachte. Dann rührte er weiter.
»Nein, wirklich. Es stimmt.« Er hielt seinem Kumpel die Zeitschrift hin, aufgeschlagen bei dem Foto von Kitty auf ihrem weißen Sessel. »Damals hieß sie Katie und wir haben uns auf einer Party im Valley getroffen. Erst konnte ich kaum glauben, dass sie überhaupt ein Wort mit mir wechseln würde, weißt du. Aber später waren wir dann ziemlich blau und landeten in einem Zimmer und, äh, lernten uns ziemlich gut kennen.«
»Ist das dein Ernst?« Hank schaltete den Herd aus. »Bist du dir da sicher?«
»Ich hab sie gegoogelt. Ich bin mir sicher, hundert Prozent.«
»Wie lange ist das her?«
»Na, so etwa ...«, Chuck schaute nachdenklich zur Decke hoch, »zwanzig Jahre.«
Hank biss sich auf die Lippen und nickte. »Es gab also mal eine Zeit in deinem Leben«, er hielt sich die Zeitschrift dicht vor die Augen, um das Bild von Kitty besser betrachten zu können, »wo so eine Schnecke tatsächlich in deiner Liga war, und du hast dich trotzdem dermaßen gehen lassen?« Er stieß einen leisen Pfiff aus. »Ich wette, ich weiß, was sie sagen würde, wenn sie dich jetzt sehen könnte.«
»Du brauchst gar nicht so darauf herumzureiten«, sagte Chuck säuerlich. »Damals hatte ich noch alle meine Haare und war in Topform, wegen dem ganzen Surfen.«
»Und warum hast du sie nach der Party nicht wiedergesehen? Wenn es so schön war, warum ist es bei einer Nacht geblieben?«
»Ich hatte damals eine Freundin und wir wollten es noch mal miteinander versuchen, weißt du.«
»Also«, schmunzelte Hank, »besonders angestrengt könnt ihr es nicht versucht haben. He, reich mir doch mal die Spaghetti rüber.«
Chuck gab ihm die Packung und Hank warf die Nudeln in einen großen Topf mit sprudelnd kochendem Wasser.
»Wie viele sind wir heute Abend zum Essen?«, fragte Chuck. »Ich deck schon mal den Tisch.«
»Matt und LaBron sind zu dem frühen Treffen drüben in der Kirche gegangen, aber ich glaube, Jose und Alex sind hier. Du solltest ...« Er brach ab und schaute Chuck mit großen Augen an. »Zwanzig Jahre ist das her, sagtest du?«
»Ja, so ungefähr.« Chuck begann die Teller aus dem Küchenschrank zu nehmen.
Hank griff nach der Zeitschrift, blätterte darin herum und hielt unvermittelt inne. »Heilige Scheiße.«
»Was ist?«
Hank hielt die Zeitschrift hoch und schaute von einem Foto auf Chuck und wieder zurück. Er begann zu lachen.
»Was zum Teufel ist denn so komisch?«, fragte Chuck wütend.
»Tu mir einen Gefallen« – Hank lachte wieder – »und hol mal das alte Foto von dir und deiner Schwester her, das über deiner Kommode hängt.«
»Warum?«
»Tu’s einfach.« Hank lächelte freundlich. »Okay? Kannst du mir einfach mal vertrauen?«
Chuck blieb stehen und schaute verwirrt drein.
»Vertrau mir, Mann.«
Chuck stampfte aus der Küche und kehrte kurz darauf mit dem gerahmten Foto von sich und seiner Schwester zurück, das vor vielen Jahren bei der Beerdigung ihres Großvaters aufgenommen worden war. »Und nun?«, fragte er Hank.
Hank trat zu dem alten Küchentisch und legte die Vanity Fair darauf, die er bei dem Artikel über Evo-Love aufgeschlagen hatte. Dann legte er das verblasste Bild von Chuck und seiner Schwester direkt über ein Hochglanz-Schwarz-Weiß-Foto von Sebastian, das
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