Prophezeiung
telefoniert. Zuletzt Dienstagabend, dann Mittwoch Mittag und danach gar nicht mehr. Dazwischen liegen aber auffällig viele Telefonate meiner Schwester mit diversen Leuten, deren Namen ich noch nie gehört habe, und mit diversen unterdrückten Rufnummern. Sowie eine süße kleine SMS an mich, auf meine Frage ›Heute abend Zeit?‹ vom Mittwoch, eine SMS , in der lediglich Nope. Bigtimebingo! stand – ein Wort, das unter uns zwei exklusiv reserviert ist für Lottogewinne, Hochzeiten und ähnlich große Lebensereignisse …«
Mavie versuchte sich einen Reim auf das zu machen, was er ihr erzählte, aber etwas stimmte nicht. Und sie korrigierte das Detail.
»Ich habe Mittwoch nicht mit ihr telefoniert.«
Philipp sah auf den Ausdruck, auf dem die von Helen gewählten Nummern untereinander aufgelistet waren. »Doch«, sagte er. »Sie hat dich angerufen, um 16.31 Uhr. Zuerst hat sie offenbar versucht, dich auf La Palma zu erreichen – dich oder sonst wen, jedenfalls ist das hier eine spanische Nummer. Acht Minuten. Und danach hat sie dich auf dem iAm erreicht. Sechs Minuten.«
Mavie schloss kurz die Augen. »Da hatte ich meinen iAm schon nicht mehr.«
Philipp sah sie einen Augenblick lang an, als wollte er sie am liebsten ohrfeigen. Wieso sagte sie ihm das erst jetzt? Aber ihm fiel offensichtlich auf, dass sie ihm das vorher gar nicht hatte sagen können.
»Ich höre«, sagte er.
Sie erzählte es ihm. Alles. Vom Geheimprojekt IICO , von der Katastrophenprognose, die angeblich keine war, von ihrem Verhör, ihrer Entlassung und den Begleitumständen, von den Daten, die sie dennoch mitgenommen hatte, von ihrem Telefonat mit Helen, ihrer Bitte, die Freundin möge sich umhören. Vorsichtig. Von Beck, Gerrittsen und Mager, von Eisele und ihrem Vater, dem Paranoiker. Und von beider überzeugender Einschätzung, an der Prognose könne nichts dran sein.
Philipp nickte. »Offenbar doch.«
»Sofern Helen deshalb …«, sagte sie, aber er unterbrach sie sofort, mit einem ungeduldigen Nicken. »Wen hat Helen erreicht? Auf deinem iAm?«
»Weiß ich nicht«, sagte sie. »Vermutlich Beck, Gerrittsen oder die IICO -Security.«
Er blätterte in den Telefonlogs. »Schneider, Schulz, Chao, Orgun, Reimann, sagt dir das was?«
»Ja, zum Teil. Reimann hat sie mal erwähnt, der war früher beim IPCC . Schulz ist bei RWE gelandet, Chao kenne ich aus dem Studium, aber ich wusste nicht, dass sie noch Kontakt zu ihm hat. Das Letzte, was ich von dem gehört habe, war, dass er wieder in Asien ist, irgendwas mit Emissionshandel. Sie wird nach dem Telefonat mit mir einfach all ihre Kontakte angerufen haben, die über Insiderinformationen verfügen könnten.«
»Und danach? Hat sie das IICO direkt angerufen?«
Mavie zuckte hilflos die Achseln. »Es scheint so.«
Philipp schüttelte den Kopf. »Meine Fresse«, sagte er, mehr zu sich selbst, »wie blöd kann man sein? Und danach hat sie versucht, dich zu erreichen, hatte direkt deinen Boss oder diesen Beck dran, hat, so wie ich sie kenne, ins Blaue geschossen und ins Schwarze getroffen.«
Mavie nickte. Es klang logisch, leider.
»Worauf dann«, sagte Philipp und blätterte wieder, »nur noch unterdrückte Rufnummern mit ihr telefonieren. Eine nach der anderen. Worauf sie dann am Abend nach Lüneburg fährt, sich mit irgendwem zum Essen trifft und danach mit dem in eine Lagerhalle fährt. Wo sie dann eine weitere Stunde unbeweglich sitzt …«
Mavie schüttelte den Kopf. Ihre Fantasie ging mit ihr durch, sie stellte sich allzu deutlich vor, wie Helen unbeweglich in einer Lagerhalle saß, dem Besitzer einer der unbekannten Rufnummern gegenüber. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Helen freiwillig sitzen blieb.
»… um dann sturzbesoffen in einen Fluss zu fahren und zu ertrinken.«
Philipp nickte und sah Mavie an. Sie hatte seine Augen immer gemocht, auch wenn die manchmal zu dreist und selbstbewusst blickten, aber im Lauf der letzten Stunde hatte sie vieles hinter diesen Augen gesehen, was sie nicht dort vermutet hatte. Und was sie jetzt sah, ließ ihr einen kalten Schauer über den Rücken laufen.
»Es tut mir leid«, sagte sie leise.
Er sah sie weiter an, eisig, endlos. Bis er endlich nickte und seinen Blick von ihr abwandte. Er sah ins Feuer, in den Kamin.
»Ja«, sagte er. Nichts weiter.
Und sie schwiegen.
Sahen zu, wie die Flammen das Holz verzehrten. Unaufhaltsam, unwiederbringlich. Bis nur noch Asche bliebe.
Schließlich war es Mavie, die das Schweigen brach. »Was
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