Prophezeiung
nicht mal kochen. Geschweige denn einen Knopf annähen.
Mavie fragte nach seiner Tochter. Seine Laune verbesserte sich umgehend, er geriet ins Schwärmen. Hannah habe gottlob nichts von der Mutter, sondern sei ein kluges, schönes und patentes Mädchen. Sechzehn Jahre alt. Und seine wichtigste Verbündete im Feindesland, seinem besetzten Haus. Denn Max, sein Zwölfjähriger Sohn, verehrte seine sich hilflos stellende Mutter, probte absurderweise die Beschützerrolle, die er gar nicht ausfüllen konnte, geschweige denn ausfüllen sollte, und begriff noch gar nicht, welch »linkes Spiel« sie trieb, »diese Person«.
Mavie nutzte die Gelegenheit. Diese Person und linkes Spiel waren goldrichtige Stichwörter für einen Themenwechsel: Welche andere Person spielte mit ihnen welches linke Spiel?
Philipp nickte eine ganze Weile vor sich hin, mit konzentriertem Blick nach vorn. Was Mavie schon deshalb angemessen fand, weil sie inzwischen auf der Autobahn Richtung Süden reisten und die Instrumente des Porsche trotz des dichten Regens eine Geschwindigkeit von fast 200 km/h anzeigten. Die Kleinwagen und Hybriden, die sich auf die linke Spur getraut hatten, sprangen dem nach Aquaplaning bettelnden Geschoss aus dem Weg, und Mavie sah im Vorbeifliegen eine Menge stumm zeternder Gesichter.
Für die Rolle der linken Person kamen nicht viele Kandidaten infrage, im Grunde nur zwei, nämlich Gerrittsen und Beck. Dummerweise waren aber beide, wenigstens Mavies Beschreibung nach, nicht die Mobster, die man für die Rolle brauchte. Weder der renommierte Wissenschaftler noch der sozial verhaltensgestörte Nerd waren Idealbesetzungen als Drahtzieher in einem mörderischen Komplott, und neben der Frage »Wer sonst?« stellte sich die noch bedeutend wichtigere Frage »Welches Komplott?«. Denn natürlich war Philipp zu derselben Erkenntnis gekommen wie sie, und damit zum selben Problem: Sofern die Prognose stimmte, wofür vieles sprach, nachdem Helen und Nyquist deswegen offenbar hatten sterben müssen – wieso wollte irgendwer um jeden Preis verhindern, dass die Welt von der ihr bevorstehenden Katastrophe erfuhr? Philipp schlug in die gleiche Kerbe wie Edward: Follow the Money. Wer sollte von dieser Geheimhaltung profitieren können, wenigstens theoretisch? Und da auch ihm keine Antwort einfiel, blieb als gedachter Drahtzieher der gedachten Verschwörung eigentlich nur einer, der unbedingt möglichst viele Millionen Menschen umbringen wollte, unabhängig von ihrer Hautfarbe oder Konfession. Weshalb Philipp diese Theorie vollständig ablehnte, weil er »Teufel ohne Motiv« nicht einmal in schlechten Filmen glaubwürdig fand, geschweige denn im wirklichen Leben. Er überraschte Mavie mit seiner Einschätzung, Menschen handelten immer aus gutem Grund. Sogar Mörder handelten vernünftig – nicht unbedingt vernünftig in den Augen anderer, aber immer vernünftig im Rahmen ihres eigenen Wertesystems. Niemand war einfach nur so böse. Was bedeutete, dass sie es entweder mit einem einmaligen Psychopathen zu tun hatten – oder noch nicht begriffen hatten, welches Wertesystem sich hinter dem Verhalten ihrer unsichtbaren Gegner verbarg. Sofern sie sich nicht vollständig irrten. Sofern nicht alles, Nyquist, Helen, Mavies Verfolger reine Zufälle waren. Und die Prognose ein Witz. Ein Hirngespinst.
Mavie schüttelte den Kopf. »Zu viele Zufälle.«
»Kommt ja vor. Am Ende kriegen wir bloß raus, dass Nyquist ein Alkoholproblem hatte, dein Vermieter in deiner Wohnung war und vergessen hat, die Tür wieder abzuschließen, im BMW vor dem Haus deines Vaters ein interessierter Architekt auf Durchreise saß und Felix ein Serienmörder ist, der sich inzwischen nach Thailand abgesetzt hat. Und deine Prognose tatsächlich bloß ein völlig sinnloses Modell, die Betaversion einer Betaversion, gefüttert mit Fantasiedaten.«
»Glaub mir«, sagte sie kopfschüttelnd, »ich habe schon eine Menge gesehen. Ich war in Hamburg, all die Jahre, ich kenne die Daten und die Modelle, die leistungsfähigsten Rechner, weltweit, und die besten Simulationen, aber nichts von dem ist auch nur annähernd so groß, so umfangreich und so präzise wie Prometheus . Und was du sagst, Betaversion und Fantasiedaten, ist unlogisch. Ich habe gesehen, was Prometheus in der ›Simulation‹ kann – und diese sogenannten Simulationen sind überprüfbar. Du gibst Daten für einen x-beliebigen Tag und Ort ein, historisch, Prometheus simuliert eine Prognose. Die du dann aber
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