Prophezeiung
Wissen, dass er ihre Missbilligung nicht spürte. Aber als er seinen saftigen Brocken zur Hälfte verspeist hatte, belehrte sein genervter Blick sie eines Besseren.
»Jetzt hör doch endlich mal auf, so zu gucken.«
»Bitte?«
»Da vergeht einem ja alles. Ich traue mich kaum zu kauen.«
»Was hab ich denn gemacht?«
»Du guckst mich an, als würde ich mit jedem Bissen die Temperatur um mindestens zwei Grad erhöhen, und zwar weltweit.«
»Quatsch.«
»Das«, sagte er und deutete mit dem Messer auf seinen Teller, »ist Kobe-Rind. Und zwar das beste, das ich jemals hatte. Das kann man theoretisch lutschen, aber ich kaue auch ganz gern, um meinem Magen die richtigen Signale zu geben.«
»Dann kau doch.«
»Danke«, sagte er, schnitt ein Stück Fleisch ab und steckte es sich in den Mund. Er sah sie an und kaute demonstrativ. Sie lächelte ihr schönstes Buddha-Lächeln aus Zement.
Er kaute. Genüsslich. Dann trank er einen Schluck Wasser. Und sah sie an. »Sag ich ja, das Gegenteil von sinnlich.«
»Fleisch ist sinnlich?«
»Fleisch ist absolut sinnlich, jedenfalls …«
»Rindfleisch?«
»Bedingt. Aber Essen ist Genuss. Und Kobe-Rind erst recht.«
»Ich sag ja auch gar nichts. Aber ich kann’s nicht ändern, dass ich die Zahlen kenne.«
»300 Euro.«
»Und ungefähr so viel CO 2 wie unsere Fahrt nach Rotterdam. Das Stück da«, nickte sie in Richtung seines Steaks.
»Da bin ich ja erleichtert. Ist der Porsche also gar nicht so schlimm.«
»So kann man das natürlich auch sehen.«
Er winkte ab und wandte sich wieder seinem Steak zu. »CO 2 wird sowieso überschätzt. Aber das hat schon Helen nicht kapiert. Ihr kleinen Mädchen wollt einfach nicht einsehen, dass ihr dumpf Lobbyarbeit für Kernenergie und Kleinwagenhersteller macht, aber das kommt halt dabei raus, wenn man die Natur für was Niedliches hält, für ein angefahrenes Katzenbaby, das sich nicht selber helfen kann. Hast du mal bei Sturm draußen übernachtet? So viel zum Thema hilfloses Katzenbaby.«
Er schnitt sich ein neues Stück Fleisch ab und kaute. Mit einem Lächeln, das nicht so gemeint war. Das beherrschte sie allerdings auch und zeigte es ihm.
»Genau. So sind wir Mädchen. Naiv in allen Lebenslagen. CO 2 ist doch gut für die Pflanzen, die Erderwärmung passiert so oder so – oder auch nicht, denn es war ja die letzten zehn Jahre kälter, jedenfalls auf deinem Balkon, trotz steigender CO 2 -Werte, also ist die ganze Theorie sowieso überholt.«
»Siehst du.«
»Eben«, sagte sie und behielt den ironischen Tonfall eisern bei. »Positives Feedback? Tipping Point? Irreversibel? Eine CO 2 -Explosion aus den Speichern, den Meeren, falls es dann versehentlich doch wieder wärmer wird? Bah! Alles Quatsch, sagen die Jungs mit den dicken Autos, die Geolino auf dem Klo lesen können, ohne runterzufallen, und die müssen’s ja wissen. Ach ja, und das Methan, wo wir schon mal vom Verdauen sprechen, ist erst recht kein Problem, obwohl es, wie du natürlich weißt, ein zwanzigmal potenteres Treibhausgas ist als CO 2 .«
»Sagt man wohl«, sagte er gelangweilt und kaute.
»Davon hat dein toter Kumpel da auf dem Teller Zeit seines Lebens jedes Jahr ungefähr 600 Kilo produziert, in Form von, höflich formuliert, Aufstoßen und Darmwinden – und das hätte er sogar ohne Kobe-Massage geschafft. Zusammen mit den anderen Ochsen, die so rumlaufen, macht das jährlich ungefähr ein paar Hundert Millionen Tonnen Methangas.«
»Tja. Was soll er machen, der Ochse.«
»Du willst das nicht wissen, richtig?«
»Genau.«
»Aber du willst auch nicht dumm sterben.«
»Natürlich nicht. Sondern gar nicht.«
Er machte sie wahnsinnig. Und sie konnte einfach nicht aufhören. »Allein die Rinderzucht belastet das Klima stärker als alle Europäer und Inder zusammen – brauchst du auch noch Anhaltspunkte für die Belastung, die durch den Transport entsteht? Oder durch die Rodung der Wälder, die über sind, weil wir immer mehr Weiden für immer mehr Rinder brauchen? Damit wären wir dann bei fast fünfzig Prozent der Treibhausgase …«
»Siehste«, unterbrach er sie strahlend und kaute glücklich weiter. »Tu ich doch was Gutes. Dieses Rind richtet jedenfalls keinen Schaden mehr an.«
Sie erwiderte sein Lächeln und nickte. »Danke.«
»Aber, psst, ich kann die ja nicht alle allein essen, das sind doch Milliarden. Aber wenn ich nächstes Mal nach Indien fliege, nehme ich mein Bolzenschussgerät mit, versprochen. Heilig hin, heilig her, die
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