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Prophezeiung

Prophezeiung

Titel: Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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Hamburg aus geführten Dauertelefonate hatte Lisa Weiß Glück gehabt. Die Rezeption des grundsätzlich ausgebuchten New York hatte zurückgerufen, jemand hatte kurzfristig abgesagt, und so konnte sie ihrem Chef zufrieden mitteilen, die Dierectievertrek Maaszijde sei für ihn gebucht und werde sicherlich all seinen Wünschen entsprechen.
    Mavie hatte sich die Frage verkniffen, ob nicht zwei Einzelzimmer in einem Bahnhofshotel die bessere Idee gewesen wären. Es spielte keine Rolle, wo sie wohnten – entscheidend war, dass sie Eisele zu fassen bekamen. Aber als Philipp nach dem Abstellen des Porsche das Handschuhfach öffnete und die beiden Plastikpistolenteile herausnahm, sah sie sich doch zu einem Räuspern gezwungen. Sowie einer Frage: ob das nötig sei.
    »Das wollen wir doch nicht hoffen.«
    »Wieso hast du überhaupt eine Waffe?«
    »Gegen Kleinaktionäre. Weil mich mal einer von denen besucht hat, Ende der Neunziger, in meiner Tiefgarage. Damals hatte ich keine, aber er hatte eine. Ich hab ihm die 100 000 ersetzt, obwohl es seine eigene Schuld gewesen war – was hört der Idiot auch auf seine Bank? Aber seitdem hab ich eben selber eine. Frei nach Opas Lebensmotto: Besser ’ne Knarre haben und sie nicht brauchen, als ’ne Knarre brauchen und sie nicht haben.«
    Philipp zahlte bar, im Voraus. Niemand verlangte seinen Pass, niemand runzelte die Stirn, als er sich und Mavie als Ehepaar Walther aus Bremen vorstellte und ins Buchungsverzeichnis eintippen ließ. Das freundliche Mädchen an der Rezeption, platziert vor dreißig identischen Uhren an der Wand, die sämtliche für Weltumsegler relevanten Ortszeiten von Hawaii bis London anzeigten, beglückwünschte sie zu ihrem Zimmer, dem schönsten im Haus, ein schottischer Gast habe praktisch im gleichen Augenblick abgesagt, in dem sie mit Philipps Büro gesprochen hatte. Philipp erwiderte erfreut, normalerweise sei er kein Fan von schottischem Geiz, in diesem Fall jedoch dankbar, ließ allerdings danach einen skeptischen Blick durch die Lobby wandern, den Mavie entsetzlich unhöflich fand. Und unpassend, denn sie mochte das, was sie sah.
    Er nicht. Weder die vielen kleinen Überwachungskameras, die das Ehepaar Walther von überall her einfingen, noch die Möbel, noch die Wandfarbe, noch die schmiedeeiserne Treppe nach oben, mochte sie auch noch so charmant an die Vergangenheit des Hauses erinnern. Was ihm fehlte, war der Lift. Und als sie das Zimmer betraten, einen schönen und großzügigen Raum, eingerichtet mit antiken Möbeln, die charmant wie das ganze ehemalige Durchgangshaus daran erinnerten, dass hier für Abertausende der Weg in die unbekannte Neue Welt Amerika begonnen hatte, knurrte Philipp bloß: »Super, Sperrmüll«, warf seine Tasche auf einen der Sessel vor dem Kamin und zog seinen iAm heraus.
    Während er seiner fernen Assistentin mühsam beherrscht für die Bruchbude dankte und sie bat, beim nächsten Mal wieder irgendwas Sicheres zu buchen, keineTouristenattraktion für blinde Japaner, stellte Mavie beruhigt fest, dass das Designerbett – kein Artefakt aus alter Zeit – problemlos auseinanderzuschieben war. Die Wand dahinter war kunstvoll gewischt, allerdings nachträglich zusätzlich verziert worden mit haufenweise kleinen rostroten Flecken in den unterschiedlichsten Formen. Mückennetze schienen nicht zum Wellness-Angebot des Hotels zu gehören.
    Sie trat ans Fenster und schaute hinaus auf das Hafenbecken, dessen Inhalt nicht so aussah, als wolle er sich noch lange von den Kaimauern am Landgang hindern lassen. Sofern auch Rotterdam ein Problem mit craspedacusta hatte, brauchten die Hafenbewohner nicht nur zusätzliche Mückennetze.
    Philipp legte mit einer geknurrten Verabschiedung auf, und Mavie verkniff sich jeden Kommentar zum Verhalten ihres Begleiters. Er hatte wenig geredet während der Fahrt, nach ihrem Stopp im OF . Kein Wort über seine Schwester. Sie wusste, dass er und Helen einander immer sehr nah gewesen waren, dass er, der große Bruder, sich als ihr Beschützer gesehen hatte. Er musste erschüttert sein, todtraurig, verzweifelt, aber offenkundig gehörte es nicht zu seinem Verhaltensrepertoire, Schwäche zu zeigen oder wenigstens seine Trauer auszusprechen. Was ihm blieb, waren unfreundliche Bemerkungen oder schweigender Zorn. Und den ließ er eben an den Falschen aus, an der armen Lisa Weiß oder den Möbeln im New York, solange er noch nicht die Richtigen gefunden hatte.
    Sie hoffte nur, er würde erst gründlich nachfragen

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