Prophezeiung
und dann ausrasten. Erst recht, sofern er beabsichtigte, seine Waffe einzusetzen.
Sie sah auf die Uhr. Es war halb sechs, ihnen blieben zwei Stunden bis zum Beginn von Eiseles Vortrag.
Sie nahm ihr Handy heraus, wählte Eiseles Nummer und ließ es fünfzehnmal ins Leere klingeln. Sie legte auf, rief die Erasmus-Universität an, in deren Räumen der Vortrag stattfinden sollte, und fragte sich durch, bis sie eine Mitarbeiterin erreichte, die wusste, worum es ging. Eine Mitarbeiterin der Rotterdam School of Management, wie sie überrascht zur Kenntnis nahm.
Ja, der Vortrag werde stattfinden. Nein, es habe keine Absage gegeben. Nein, Professor Eisele sei noch nicht eingetroffen. Ob sie auf der Gästeliste stehe? Ja. Ob sie einen weiteren Gast mitbringen dürfe? Ausgeschlossen.
Sie dankte. Legte auf und sah Philipp an.
»Kannst du mal auf Charme umschalten?«
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18 Um viertel nach sechs parkte Philipp den Porsche auf dem Campus, um zwanzig nach sechs hatte Mavie ihn überredet, die Waffe im Handschuhfach zu lassen, und um halb sieben hatten sie das Büro von Anja Doorn gefunden, der Frau, mit der sie telefoniert hatte. Philipp sprühte derartig vor Charme, dass Mavie ihm jederzeit einen Gebrauchtwagen abgekauft hätte, aber Doorn war, obgleich ebenfalls charmant, nicht zu beeindrucken. Die Veranstaltung sei nicht öffentlich, nur die akkreditierten Teilnehmer würden eingelassen.
Philipp lächelte unbeeindruckt weiter, wies darauf hin, es könne sich nur um einen Fehler handeln, er sei akkreditiert, und zog zu Mavies Überraschung einen Presseausweis aus seiner Brieftasche. Den Doorn allerdings nur eines kurzen Blickes würdigte, um dann, immer noch lächelnd, erneut zu bedauern. Es stünden zwar einige wenige Journalisten auf der Liste, er allerdings nicht. Leider.
Er wahrte sein angebliches Journalistengesicht, indem er ihr freundlich mitteilte, seine Redaktion werde sie noch einmal anrufen und versuchen, das Missverständnis aufzuklären. Sie ließ ihn lächelnd wissen, das werde leider auch nichts nützen.
»Bitch«, sagte er, allerdings erst, als sie wieder draußen standen, im Regen. »Aber gut. Schleichen wir uns halt hinten rum rein, wie damals. Wir sind hier ja wohl immer noch an ’ner Uni. Jeder Hörsaal hat Notausgänge.«
Sie fanden das Gebäude, in dem Eiseles Vortrag stattfinden sollte. Sie fanden sogar die Notausgänge, an der Rückseite. Aber vor beiden Notausgängen standen Menschen, und zwar nicht irgendwelche Menschen, sondern Kleiderschränke in Anzügen, mit Spiralkabeln in den Ohren.
Mavie und Philipp sahen sich nicht zum ersten Mal verwundert an, aber diesmal sprach Philipp aus, was sie die ganze Zeit irritierte. »Was soll das? Geschlossene Gesellschaft? Handverlesene Journalisten, und wer sonst noch? An ’ner Wirtschaftsakademie? Hat dein Klimagott sich verlaufen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Er hält dauernd Vorträge«, sagte sie. »Nicht nur vor Wissenschaftlern. Die Industrie zahlt einfach besser.«
»Das ist ja wohl kein Grund, gleich den Secret Service dazuzubitten.«
Sie gingen wieder nach vorn, zum Haupteingang, vorbei an einem steinernen Erasmus, der hartnäckig in sein Buch starrte, als ginge ihn das alles nichts an, und unternahmen einen letzten Versuch. Sie zeigte dem schwarzen Anzug vor dem verglasten Eingang ihre Einladung, der Mann trat zur Seite. Als Philipp ihm seinen Presseausweis zeigte, schüttelte er den Kopf.
Mavie sah an dem Wächter vorbei ins Innere des Gebäudes. In der Empfangshalle und auf den Fluren standen etwa hundert weitere Anzugträger, an Stehtischen, in Gruppen miteinander plaudernd. Etwa drei Viertel der Anzüge sahen teuer aus, der verbleibende Rest etwas staubig und wie Ende der Achtziger aus der Mode gekommen, nach Wissenschaftler-Kleiderschrank.
Sie wandte sich von dem Wächter ab, lächelnd, und zog Philipp ein paar Schritte vom Eingang weg. Zu den etwa fünfzehn Anzugträgern, die hier versprengt standen, mit Zigaretten in den arroganten Gesichtern.
Es blieb ihnen nichts anderes übrig.
Sie warteten.
Unter dem Vordach, über das Regen unablässig nach unten tropfte, vor ihre Füße.
Um Viertel nach sieben tauchten zwei schwarze Limousinen aus der Regenwand auf und näherten sich im Schritttempo dem Eingang, vor dem Mavie, Philipp und die rauchenden Anzüge warteten. Die erste Limousine hielt, der Beifahrer stieg aus, ein Schrank wie der Wächter vor dem Eingang, und hielt einen Regenschirm über die Tür zum Fond. Er öffnete
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