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Prophezeiung

Prophezeiung

Titel: Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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angesprochen hatte. Er müsse nicht die Zustimmung von Wissenschaftlern gewinnen, von ein paar Gelehrten, die sich intellektuell mit ihm auf Augenhöhe befanden, sondern die Zustimmung der Massen, der Ungebildeten, der Dummen, die über die Aufmerksamkeitsspanne von Stubenfliegen verfügten und dennoch über das Schicksal des Planeten und all seiner Bewohner entschieden – mit der Fernbedienung, an der Supermarktkasse, an der Wahlurne. Und er meinte nicht nur den sprichwörtlichen Mann von der Straße, sondern auch dessen gewählten Vertreter. Politiker gehörten in Eiseles Augen ausdrücklich zu denen, die nur einfache Wahrheiten verstanden – Wahrheiten, die man problemlos zu Wahlslogans machen konnte. Um also diese Menschen, das Volk und seine Vertreter, auf Kurs zu bringen oder zu halten, im Sinne der Menschheit, um zu verhindern, dass sie alles vernichteten, brauchte es klare und deutliche Formulierungen. Bei Bedarf Vereinfachungen. Notfalls Übertreibungen. Jedenfalls Worte, die Eindruck machten. Die blieben. Und etwas bewirkten.
    Etwas bewirkt, wenngleich nur im Kleinen, hatte auch sein Anruf bei ihr. Es war wie ein Weckruf gewesen. Sie steckte fest, sie drehte sich im Kreis, schon seit Langem. In der immer gleichen Stadt und mit dem immer gleichen Abteilungsleiter im CL iSAP , der sie aus ganz und gar egoistischen Gründen nie im Leben vorankommen lassen würde. Sie steckte fest in ihren Routinen, vom allmorgendlich gleichen Müsli über die Pilates- und Tai-Chi-Kurse dienstags und donnerstags bis zu den immer gleichen Sonntagsbesuchen bei ihrem Vater.
    Und erst als die Maschine Hamburg hinter sich zurückgelassen und Reiseflughöhe erreicht hatte, fiel Mavie auf, dass sie, obwohl sie Flugzeugstarts furchterregend fand, die ganze Zeit selig gelächelt hatte.

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    3 Beim Landeanflug auf den Flughafen von La Palma lächelte Mavie nicht. Stattdessen krallte sie sich mit beiden Händen in den Sitz, als der Pilot die Maschine bei starkem Seitenwind erst nach rechts, dann nach links kippen ließ, um die direkt am Meer auf einer Klippe gelegene und, von oben betrachtet, unmöglich kurze Landebahn zu treffen. Auch nachdem die Maschine endlich zum Stehen gekommen war, blieb Mavie noch eine ganze Weile erstarrt sitzen, im felsenfesten Glauben, sie werde im nächsten Moment hören, wie sich das Flugzeug miteinem fiesen Knirschen nach vorn neigte, weil der vordere Teil des Fahrwerks längst meterweit über dem Wasser hängen musste. Erst als ihr Mitreisender mit der verwegenen Frisur an ihr vorbei aus der Maschine schlenderte und sie mitleidig anlächelte, brachte sie es fertig, ihren Gurt zu lösen und auf wackligen Beinen die Flucht anzutreten.
    In der Ankunftshalle des kleinen Flughafens erwartete sie ein unauffällig uniformierter Mann, der ein Plastikschild hochhielt, auf dem ihr Name geschrieben stand, in ordentlichen Druckbuchstaben. Sie lächelte ihn freundlich an, kriegte aber nichts zurück. Der Mann stellte sich knurrend als »José« vor, nahm ihr die zwei schweren Reisetaschen ab und ging voraus, demonstrativ ächzend, zu einem vor dem Terminal geparkten SUV .
    Mavie trat ins Freie, in die sonnenwarme Luft, schloss die Augen und atmete tief ein. Alles fühlte sich richtig an. Als empfinge die neue Welt, für die sie sich entschieden hatte, sie mit einem Lächeln und mit offenen Armen.
    »Señorita?«, knurrte José, und Mavie öffnete die Augen und beeilte sich, in den Wagen zu klettern.
    Eine kurze Fahrt führte sie über die Hauptstraße nach Santa Cruz, und unmittelbar vor der Hauptstadt bog José nach links ab und steuerte den SUV unter üppig mit Mispeln behangenen Bäumen hoch in die Caldera, einen in sich zusammengesackten Vulkankrater oberhalb der Stadt. Mavie hatte die Insel ausführlich studiert, mithilfe von Google Earth, und natürlich war ihr der Krater aufgefallen. Aber auf den offenbar nicht ganz aktuellen Bildern der Urbanisación hatte das wichtigste Gebäude gefehlt – ein schmucklos weißer, unauffälliger Betonkomplex, den man erst vor knapp zwei Jahren dort errichtet hatte, kurz vor dem Ende aller Billigflugreisen, und der jetzt vor den ehemaligen Ferienreihenhäusern im schwarzen Sand thronte.
    José brachte den Wagen vor einem Pförtnerhaus zum Stehen. Der Mann, der heraustrat, trug eine hellgraue Uniform, wie José, war aber, anders als José, bewaffnet. Er winkte dem Fahrer mürrisch zu, zog seine Keycard durch den Schlitz am Torpfosten, und das schwere Eisentor glitt zur

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