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Prophezeiung

Prophezeiung

Titel: Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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dieses besondere Gift, denn es emittiert Helium-Atome und zerstört, richtig dosiert, nach und nach alle lebensnotwendigen Zellstrukturen im menschlichen Körper. Case closed, legt euch nicht mit der Mafia an. Dennoch: wieso Polonium?«
    Philipp grinste ihn an. »Weil man jemand nicht so langsam erschießen kann?«
    »Wieso nicht Rizin?«
    Philipp zog die Augenbrauen hoch. »Was ist Rizin?«
    »Ein hochgiftes Lektin, das Sie in äußerst geringen Dosen zu sich nehmen, wenn Sie Rizinusöl trinken. Entscheidend ist: Rizin löst die eukaryotische Proteinbiosynthese aus, zerstört mithin jede Körperzelle, die mit ihm in Berührung kommt. 0,25 Milligramm reichen, um einen Menschen langsam und qualvoll sterben zu lassen, in der Wirkungsweise unterscheidet das Gift sich nicht nennenswert von Polonium. Einen wichtigen Unterschied gibt es aber doch.«
    Mavie und Philipp warteten. Mavie stellte sicherheitshalber sogar das Croissantkauen ein.
    »Eine letale Dosis Rizin«, sagte Milett, »kostet einen Dollar. Eine letale Dosis Polonium kostet 10 Millionen.«
    Mavie schluckte ihr Stück Croissant herunter, hustete kurz und nickte dankbar, als Milett ihr Kaffee nachschenkte.
    »Kann die Mafia nicht rechnen?«, fragte er. »Hat die Russenmafia keinen Buchhalter oder nur keine Ahnung? Einen Verräter vergiftet man doch nicht ausgerechnet mit Polonium.«
    »Sondern mit Rizin«, sagte Philipp.
    Milett nickte und griff nach seiner Kaffeetasse. »Richtig«, sagte er und trank. »Halten wir also fest: Der Preis, den LitwinenkosMörder zahlen mussten, erscheint hoch, aber das Ergebnis rechtfertigt die Investition. Denn was haben wir, wir alle, aus dem qualvollen Tod des Russen gelernt? Da kommt einer aus Russland und trägt, ohne es selbst zu merken, ein paar Hundert Nanogramm Polonium mit sich. Er landet in London, mit ihm die Substanz, und er stirbt sozusagen vor den Augen der Öffentlichkeit einen entsetzlichen, qualvollen Tod. Einen radioaktiven Tod. Groß ist die Panik, groß das Entsetzen, denn Polonium wird in Kernreaktoren hergestellt. Das also ist das Schicksal, das uns allen droht, wenn wir der Nukleartechnologie eine neue Chance einräumen: qualvolles Verrecken an unsichtbaren Substanzen, wie der arme Litwinenko. Womit die Frage hoffentlich beantwortet ist, wer ihn ermordet hat: Russland lebt vom Export von Gas und Öl. Ein Umdenken des Westens, angeführt von Briten und Franzosen, ein massiver Ausbau der Kernenergie, würde Putin und seine ganze Bande Hunderte von Milliarden kosten. Und damit erscheint die Ausgabe für das Polonium doch geringfügig und mehr als gerechtfertigt.«
    Er trank genüsslich einen Schluck Kaffee und lächelte Mavie an. »Ich erinnere mich an Ihren Vater«, sagte er.
    »Oh«, sagte Mavie überrascht. »Tatsächlich?«
    Er nickte. »Deshalb kam mir dieses Beispiel in den Sinn. Ich erinnere mich, dass er damals zu dieser kleinen Abordnung von Verschwörungstheoretikern gehörte, denen ich leider nicht meine Stimme leihen konnte – da mir die Herren, offen gestanden, nicht seriös erschienen. Mit Ausnahme Ihres Vaters, eines sehr vernünftigen und offenbar logisch denkenden Mannes.«
    Mavie nickte.
    »Anthrax«, sagte Milett. »Das war damals sein Thema, und seine Herleitung war ganz und gar überzeugend. Er hat damals vollständig schlüssig und vollständig logisch dargelegt, dass das nach den Anschlägen vom 11. September verwendete Anthrax vom US -Militär verschickt worden war, mit dem Ziel, die Öffentlichkeit von drängenderen Fragen abzulenken, politische Gegner einzuschüchtern, das Homeland-Security -Gesetz ebenso wie die Deregulierung des Finanzmarkts über Nacht durchzubringen und das Feindbild Irak weiter aufzupolieren. Auch in diesem Fall ließen sich die wahren Zusammenhänge mithilfe weniger grundsätzlicher Fragen zweifelsfrei offenlegen, und deshalb fiel mir auch eben, als Herr von Schenck herunterkam, die traurige Geschichte des Herrn Litwinenko ein. Hätten alle Begleiter Ihres Vaters damals so beeindruckend entlang ihrer Indizienketten argumentiert – und über so gute Quellen verfügt –, wer weiß, vielleicht wäre ich schon seinerzeit wieder an die Öffentlichkeit gegangen. Aber dazu gibt mir ja jetzt seine Tochter Gelegenheit.«
    Er beugte sich vor, legte beide Unterarme auf den Tisch und sah Mavie an, neugierig und so gütig, wie das mit seinen Stahlaugen möglich war. Vorfreudig. »Glauben Sie mir, ich brenne darauf, Ihre Daten zu sehen.«
    Mavie lächelte, nickte und holte

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