Prost Mathilda - von Wolke sieben ab in den Vollrausch
des Glases hinweg an.
„Ich habe einen“, Mathilda stockte, „ich
hatte
einen Freund“, verbesserte sie sich.
„Er hat Schluss gemacht. Angeblich wegen einer anderen. Einer, die bereit ist, mehr mit ihm zu machen als nur küssen und Händchen halten. Dabei wäre ich auch bereit dafür gewesen. Ganz bestimmt!“
Mathilda sah Conni an, dass sie an ihren Worten schwer zu schlucken hatte, aber sie blieb stumm.
Mathilda räusperte sich und fuhr fort. „Er hat aber auch wegen dem ganzen Stress und der Heimlichtuerei Schluss gemacht. Ich habe mich nicht getraut, dir oder Merle etwas von ihm zu erzählen, weil ich keinen Bock auf Ärger und deine Vorhaltungen hatte.“ Wieder unterbrach Mathilda sich selbst, um aus ihrem Glas einen tiefen Schluck zu nehmen. Conni ließ sie dabei nicht aus den Augen. Ihre Miene war unergründlich.
„Deshalb habe ich mich weder zu ihm noch zu mir nach Hause getraut. Und darauf hatte er einfach keine Lust mehr. So einfach war das.“ Mathilda leerte ihr Glas und griff nach der Flasche, um sich nachzuschenken. Der Wein zeigte erste Wirkungen.
Bei ihr, aber auch bei Conni, die ihre vierzehnjährige Tochter nicht im Geringsten am Nachschenken hinderte.
Einen Moment saßen sie sich schweigend gegenüber. Bis Conni sich schließlich laut räusperte, ihr halb volles Glas anhob, Mathilda anlächelte und sagte: „Prost, Mathilda. Alle Männer sind Schweine. Hast du das auch endlich begriffen?“
Mathilda war fassungslos. Völlig fassungslos. Wie konnte Conni nur so gemein und herzlos sein?
Alle Männer sind Schweine
, und gut ist gewesen. Das war’s. Nicht die geringste Frage, wie es ihr jetzt ging. Oder wie lange sie mit ihrem Freund zusammen gewesen war. Wo sie sich kennengelernt hatten. Wer er war. Oder einfach nur, was Mathilda nun tun wollte. Nichts, absolut gar nichts.
Diese Frau konnte unmöglich ihre Mutter sein. Diese Frau war ihr total fremd. Mathilda sprang so heftig vom Tisch auf, dass der Stuhl laut krachend zu Boden fiel.
„Ich hasse dich“, schrie sie Conni mitten ins Gesicht.
Conni zuckte kurz mit den Lidern. Dann sagte sie völlig ungerührt: „Damit befindest du dich dann in guter Gesellschaft. Das hat mir deine Schwester gestern auch gesagt, kurz bevor sie zu deinem Vater gezogen ist. Ach, und mein Chef hat mir auch gekündigt. Der
hasst
mich zwar nicht, möchte aber trotzdem nicht, dass ich länger dieselbe Luft wie er einatme.“
Sie hob ihr Glas an die Lippen und lächelte Mathilda über den Rand hinweg an. „Du siehst, alles ganz wunderbar.“ Damit stand sie auf und verließ mit schwankenden Schritten die Küche. Einen Moment später hörte Mathilda leises Schluchzen aus Connis Schlafzimmer.
Mathilda blieb stocksteif mitten in der Küche stehen.
Sie fühlte sich wie die Hauptfigur in einem schlimmen Albtraum. Alles um sie herum lag in Scherben. Merle, ihre Mutter, ihr Vater, ihre Freundinnen – Tom. Alles war zerbrochen. Und sie stand ganz allein und hilflos vor den Trümmern ihres Lebens. Mathilda hatte das Gefühl, dass alles zu Ende war, bevor es überhaupt angefangen hatte.
Die Rotweinflasche auf dem Tisch war leer. Mathilda durchsuchte den Kühlschrank nach einer weiteren Flasche. Fehlanzeige. Doch dann fiel ihr plötzlich ein, was ihr Dad einmal zu ihr gesagt hatte: „Rotwein trinkt man nicht gekühlt!
Diesen Satz hatte er vor vielen Monaten zu Mathilda gesagt. Als sie noch alle zusammenwohnten. Ihr Dad hatte am Abend etwas Leckeres gekocht. Mathilda wollte das Mineralwasser aus dem Kühlschrank holen und gleich den Wein für ihre Eltern mitbringen. Da hatte er diesen Satz zu ihr gesagt.
Mathilda kam es vor, als wenn dieser Abend schon viele Jahre und nicht einige Monate zurücklag. Ihre Eltern waren noch nicht einmal ein Jahr getrennt, aber Mathilda konnte sich schon nicht mehr daran erinnern, wie es war, als sie noch alle zusammen waren. Als sie noch eine
richtige
Familie waren.
Würde es ihr mit Tom auch bald so gehen? Würde sie sich in ein paar Wochen auch schon nicht mehr an ihn erinnern? Wäre er ihr auch bald fremd? So fremd, wie ihr eigener Vater ihr inzwischen vorkam?
Mathildas Augen füllten sich mit Tränen. Es tat so weh. Der Gedanke tat so unglaublich weh.
Mathilda schluchzte laut auf und löste sich aus ihrer Erstarrung. Schniefend suchte sie die Unterschränke nach einer weiteren Flasche ab und hatte tatsächlich Erfolg. Im Schrank unter der Spüle befanden sich zwei ungeöffnete Flaschen Rotwein. Der Korkenzieher lag noch
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