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Proust 1913

Proust 1913

Titel: Proust 1913 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luzius Keller
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Brief an Reynaldo Hahn: »Mein lieber Bunibuls/Diesmal bin ich es, der ohne ›Obacht‹ zu rufen verseist [parsti] ist. Eine Stunde zuvor wusste ich es noch nicht und rief Madame Bizet an (um zu versuchen, den armen Ulrich, der am Verhungern ist, als Chauffeur zu plazieren); ich sagte ihr, dass ich dieses Jahr wahrscheinlich Paris nicht verlassen würde. Als ich mich dann entschlossen habe, hätte ich Sie anrufen können, und wir hätten uns vielleicht treffen können (obwohl das zeitlich unmöglich gewesen wäre), ich fürchtete aber meine Schwäche und zog es vor zu verreisen als Ihnen Adieu zu sagen./Ich schreibe Ihnen nach einer schrecklich bewegten Reise, ein Automobil, das sich verirrt hat usw., um fünf Uhr morgens, gleich bei der Ankunft im Hotel, wo ich seit sechs Jahren absteige und mich sehr wohlfühle./In inniger Liebe, mein Guncht. Ich werde Ihnen selten schreiben, denn Grasset verlangt die nicht in Angriff genommenen Korrekturen./Mein Liesber [Genstil], darüber ›Grabesstille‹, wäre es Ihnen möglich, den kleinen Artikel über
La Colline inspirée,
den ich Hébrard zugesandt hatte, zurückzubekommen (nicht um ihn zu publizieren, sondern um ihn wiederzuhaben, ich werde Ihnen erklären weshalb). Wenn das schwierig ist, sagen Sie es mir einfach./Richten Sie an M. de La Romiguière meinen Dank aus für den Brief. Ich werde mich vor Ort um die Sache kümmern, wenn Ruhl hier ist, was ich noch nicht weiß, denn ich bin um fünf Uhr angekommen, und es ist halb sechs Uhr, und ich schreibe meinem Bunibuls, bevor ich zu Bett gehe.« ( XII , 236 ) Bei dieser Momentaufnahme gäbe es vieles zu erklären und zu kommentieren. Wir beschränken uns auf einige wenige Punkte: Zu Beginn ein Chauffeur (Ulrich), den Proust Mme Bizet empfiehlt; am Schluss ein Sänger, den er dem Hoteldirektor in Cabourg für einen Auftritt im Casino empfehlen will. Dazwischen der plötzliche Aufbruch nach Cabourg, die nächtliche Reise – wer alles mit von der Partie war und wer chauffierte, bleibt im Dunkeln. Ungewiss bleibt auch, ob die Korrekturen (wahrscheinlich der zweite Lauf) tatsächlich noch nicht in Angriff genommen sind. Proust liebt Über- und Untertreibungen. Hébrard ist der Chefredakteur der Zeitung
Le Temps,
dem Hahn einen Artikel Prousts über den Roman
La Colline inspirée
von Maurice Barrès übergeben hat. Der Artikel ist nie erschienen, doch wird von ihm bald noch die Rede sein.

August
    Unter der Rubrik
Rencontré sur la plage
meldet
Le Figaro
am 5 . August aus Cabourg M. Marcel Proust. Auch andere mögen Proust am Strand in Cabourg begegnet sein, und möglicherweise hat einer wohl nicht ohne böse Absichten eine »Momentaufnahme« geschossen, auf der neben Proust ein in Cabourg nicht unbekannter jüngerer Mann zu sehen ist: Alfred Agostinelli. Und möglicherweise hat er die »Aufnahme« in Umlauf und Proust ins Gerede gebracht. Diese »Momentaufnahme« ist für uns Anlass, zurück- und vorauszublenden.
    Agostinelli
    Proust hat Alfred Agostinelli im Sommer 1907 in Cabourg kennengelernt, wo dieser wie auch Odilon Albaret bei dem von Jacques Bizet geleiteten Taxiunternehmen Unic als Chauffeur angestellt war. Bei mehreren Ausflügen hat sich Proust damals von Agostinelli chauffieren lassen.
    Odilon Albaret (am Lenkrad) und Alfred Agostinelli
    In dem am 19 . November 1907 in
Le Figaro
erschienenen Artikel »Impressions de route en automobile« hat Proust den jungen »mécanicien« verewigt: Mit seiner Lederkappe gleicht dieser »einem Pilger oder eher einer Nonne der Geschwindigkeit«; wenn er den Gang wechselt, gleicht er einer heiligen Cäcilie, die ein Register ihrer Orgel zieht; und das Lenkrad in seiner Hand gleicht, wie wir schon gesehen haben, »den Weihekreuzen in den Händen der Apostel, die sich an die Chorsäulen der Sainte-Chapelle in Paris lehnen«. (
Nachgeahmtes und Vermischtes,
92 ) Im folgenden Jahr begegnen sich Proust und Agostinelli in Cabourg und in Versailles; im Mai 1911 bittet Agostinelli Proust, er möge für Anna, seine Lebensgefährtin, eine Stelle als Platzanweiserin im Théâtre des Variétés erwirken. Dank Vermittlung durch den mondänen Theaterautor Francis de Croisset gelingt die Operation. Über die Datierung des Folgenden sind sich die Proust-Biographen uneins. Ist es Anfang des Jahres oder Ende Mai 1913 , als Alfred Agostinelli sich bei Proust meldet, ihm erklärt, er habe seine Stelle verloren und möchte jetzt von ihm als Fahrer angestellt werden? Proust steht vor einem

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