P.S. Ich liebe Dich
Rasch legte sie auf und wählte Denises Nummer.
»Hallo?«, kicherte Denise.
»Hi, Denise.« Schon wieder klang sie so unnatürlich munter. Und der Oscar für die beste weibliche Hauptrolle geht an …
»Alles klar bei dir?« Wieder kicherte Denise, und Holly hörte sie flüstern: »Tom, hör auf damit!« Sofort war ihr klar, dass sie einen ungünstigen Zeitpunkt erwischt hatte.
»Ja, mir geht’s gut. Ich wollte nur ein bisschen quatschen, aber anscheinend seid ihr ja gerade beschäftigt«, antwortete sie mit einem gezwungenen Lachen.
»Ich ruf dich morgen an, Holly, okay?«, versprach Denise. Kichernd.
»Ja, in Ordnung, bis … « Aber Denise hatte schon aufgelegt.
Holly war so in Gedanken versunken, dass lautes Hupen hinter ihr sie unsanft in die Realität zurückholte und sie schnell den Fuß aufs Gaspedal setzte.
Sie beschloss, zu ihren Eltern zu fahren und sich ein wenig mit Ciara zu unterhalten, aber als sie ankam, fiel ihr ein, dass ihre Schwester ja in Australien war. Fast hätte sie geweint. Wieder einmal war niemand da, mit dem sie reden konnte.
Sie klingelte trotzdem, und Declan kam an die Tür.
»Was ist denn mit dir los?«
»Nichts«, antwortete Holly voller Selbstmitleid. »Wo ist Mum?«
»Die unterhält sich in der Küche mit Dad und Richard. Ich würde die drei aber an deiner Stelle nicht stören.«
»Oh … okay.« Jetzt war Holly vollkommen durcheinander. »Was machst du denn gerade?«, erkundigte sie sich bei ihrem Bruder, da ja sonst niemand zu sprechen war.
»Ich sehe mir gerade das Filmmaterial an, das ich heute gedreht habe.«
»Für die Dokumentation über die Obdachlosen?«
»Ja, willst du es dir anschauen?«
»Ja, gerne«, antwortete sie mit einem dankbaren Lächeln und machte es sich auf der Couch bequem. Schon ein paar Minuten später hatte Declans Video sie zu Tränen gerührt, und diesmal galten sie nicht ihr selbst. Declan hatte ein hinreißendes Interview mit einem Mann gemacht, der in Dublin auf der Straße lebte. Hier wurde ihr klar vor Augen geführt, dass es Menschen gab, die viel schlechter dran waren als sie, und die Tatsache, dass sie und Daniel vor dem Restaurant Gerrys Eltern begegnet waren, erschien ihr plötzlich wie eine Lappalie.
»Declan, das war großartig«, sagte sie, als sie am Ende angekommen waren, und trocknete sich die Tränen.
»Danke«, erwiderte er, während er das Video aus dem Gerät holte und in seiner Mappe verstaute.
»Bist du denn auch zufrieden damit?«
Er zuckte die Achseln. »Wenn man den Tag mit solchen Leuten verbringt, ist es irgendwie schwierig, sich darüber zu freuen, dass das, was sie einem erzählen, Stoff für eine großartige Dokumentation ist. Dass es für mich sozusagen umso besser ist, je schlimmer dieser Mann dran ist.«
Holly hörte ihm interessiert zu. »Da hast du Recht, Declan, aber ich glaube, der Film wird auch für ihn positive Auswirkungen haben. Wenn diese Dokumentation so oft ausgestrahlt wird wie deine letzte, hast du ihm damit schon einen Dienst erwiesen. Die Leute werden auf sein Schicksal aufmerksam und werden helfen wollen.«
Aber Declan zuckte nur die Achseln. »Vielleicht. Aber jetzt muss ich erst mal ins Bett, ich bin total kaputt.«
Damit klemmte er die Mappe unter den Arm und küsste Holly im Vorbeigehen auf den Kopf, was sie zutiefst berührte. Ihr kleiner Bruder wurde erwachsen.
Als sie zur Uhr auf dem Kaminsims schaute, war es schon fast Mitternacht. Rasch holte sie ihre Tasche und nahm den Oktoberumschlag von Gerry heraus. Den ganzen Tag schon freute sie sich auf diesen Moment. Sie hatte den Umschlag sogar mit zur Arbeit genommen und zwischendurch immer wieder überprüft, ob er noch da war. Was hätte sie gemacht, wenn er nicht mehr da gewesen wäre? Wahrscheinlich wäre sie verrückt geworden. Sie hatte sich so daran gewöhnt, jeden Monat seinen Rat zu hören, und ihr graute schon vor dem bitteren Ende. Nach diesem hier waren nur noch zwei Briefe übrig. Nachdenklich strich sie mit den Fingern über die Schrift und riss dann langsam den Umschlag auf. Diesmal lagen zwei Karten darin. Vorsichtig holte Holly sie aus dem Umschlag, und eine gepresste Trockenblume fiel ihr auf den Schoß. Eine Sonnenblume, ihre Lieblingsblume. Mit zitternden Händen berührte sie die zarten Blütenblätter, ganz behutsam, um sie nicht kaputtzumachen.
Eine Sonnenblume für meine Sonnenblume, um die dunklen Oktobertage aufzuhellen, die Du so hasst. Ich bin stolz auf Dich, meine wunder-, wunderschöne
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