P.S. Ich liebe Dich
einen weiteren Brief von Gerry gebracht.
Holly hatte in der Sonne gesessen, die Helligkeit genossen und voller Aufregung den vierten Umschlag geöffnet. Sie liebte es, wie die Karte sich anfühlte, wenn sie die Finger über die getrocknete Tinte gleiten ließ. In seiner ordentlichen Handschrift hatte Gerry all die Dinge aufgelistet, die ihm gehörten und nach seinem Tod im Haus geblieben waren, und bei jedem einzelnen folgte eine genaue Anweisung, auf welche Weise sich Holly sich seiner entledigen sollte. Ganz unten stand:
P.S. Ich liebe Dich, Holly, und ich weiß, dass Du mich auch liebst. Du brauchst meine Sachen nicht, um Dich an mich zu erinnern, Du brauchst sie nicht aufzuheben als Beweis, dass ich existiert habe und in Deinen Gedanken immer noch existiere. Du brauchst nicht meine Pullover anzuziehen, um mich zu spüren. Ich bin bei Dir … und halte Dich für immer in den Armen.
Holly hätte sich fast gewünscht, Gerry hätte noch einmal von ihr verlangt, Karaoke zu singen. Sie wäre für ihn aus einem Flugzeug gesprungen oder tausend Meilen zu Fuß gelaufen, sie hätte alles getan. Aber seinen Schrank auszuräumen und die letzten Spuren seiner Gegenwart zu beseitigen … Trotzdem, es war richtig, das wusste sie. Sie konnte nicht ewig an den Sachen hängen. Sie konnte sich nicht einzureden versuchen, dass er zurückkommen und sie abholen würde. Gerrys Körper war nicht mehr da, er brauchte seine Kleider nicht mehr. Aber sein Geist würde sie überall begleiten.
Es war furchtbar anstrengend für sie, und sie brauchte mehrere Tage. An jedem Kleidungsstück und jedem Papierfetzen hingen Millionen von Erinnerungen, und Holly musste jeden Gegenstand an sich drücken, bevor sie sich von ihm verabschieden konnte. Sie musste bewusst loslassen, denn nichts würde zurückkommen. Genau wie Gerry selbst. Eigentlich wollte Holly dabei allein sein, aber Jack bot ihr ein paar Mal seine Hilfe an, und schließlich nahm Holly sie an. Zu jedem Gegenstand gehörte eine Geschichte, und die Geschwister redeten und lachten gemeinsam über die damit verbundenen Erinnerungen. Jack war für Holly da, wenn ihr die Tränen kamen, er war da, als sie sich schließlich den Staub von den Händen klopfte.
Dank Gerrys Hilfe lief alles glatt. Holly musste die wichtigen Entscheidungen nicht alleine treffen, denn Gerry hatte ja alles vorbereitet. Er half ihr mit seinen Anweisungen, aber diesmal hatte Holly auch das Gefühl gehabt, ihm helfen zu können.
Das Klingeln des Handys holte Holly ruckartig in die Gegenwart zurück; schnell stellte sie den Wäschekorb auf der Wiese unter der Leine ab und rannte durch die Terrassentür in die Küche.
»Hallo?«
»Ich mach dich zum Superstar!«, kreischte Declan hysterisch am anderen Ende, ehe seine Worte in einem Lachanfall untergingen.
»Declan, bist du betrunken?«
»Vielleicht ein kleines bisschen, aber das spielt überhaupt keine Rolle«, stieß er abgehackt hervor.
»Declan, es ist zehn Uhr morgens!«, lachte Holly. »Warst du heute Nacht überhaupt im Bett?«
»Nein, ich sitze im Zug und komme in erst drei Stunden ins Bett.«
»In drei Stunden! Wo bist du denn?« Das Gespräch machte ihr Spaß. Es erinnerte sie daran, wie sie Jack früher manchmal zu absolut unchristlichen Zeiten und von den unmöglichsten Orten aus angerufen hatte, wenn sie mal wieder über die Stränge geschlagen hatte.
»Ich bin in Galway. Da war gestern Abend die Preisverleihung«, antwortete er, als müsste Holly das wirklich wissen.
»Entschuldige bitte meine Unwissenheit, aber was denn für eine Preisverleihung?«
»Ich hab’s dir doch gesagt!«
»Nein, hast du nicht.«
»Doch, ich hab Jack gesagt, er soll es dir ausrichten. Gestern sind die Nachwuchs-Filmpreise verliehen worden, und ich hab gewonnen!«, brüllte er, und im Hintergrund klang es, als feierte der ganze Waggon mit ihm. Auch Holly freute sich für ihren Bruder.
»Und der Preis ist, dass mein Film nächste Woche auf Channel 4 gezeigt wird! Ist das nicht toll?!«
Diesmal wurde um ihn herum noch mehr gejubelt, und Holly konnte kaum verstehen, was er sagte. »Du wirst berühmt, Schwesterherz!«, war das Letzte, was sie hörte, dann war die Verbindung weg.
Was war das für ein seltsames Gefühl, das sich da in ihrem Körper breit machte? War es … nein, das konnte nicht sein! War sie etwa glücklich?
Sie machte einen Rundruf in der Familie, um die Neuigkeit zu verbreiten, erfuhr aber, dass alle bereits einen ähnlichen Anruf erhalten hatten.
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