P.S. Ich liebe Dich
hatte sie keine besonderen Fähigkeiten. Und was war ihr jetzt geblieben? Sie hatte keine Arbeit, keinen Mann, und keine Fähigkeiten. Auf einmal fühlte sie sich mitten zwischen Freunden und Familie schrecklich einsam und deprimiert.
Sharon und John schienen in eine hitzige Diskussion verwickelt zu sein, Abbey und Jack starrten einander wie üblich tief in die Augen wie liebeskranke Teenager, Ciara klebte an Daniel, und Denise war … ja, wo war Denise eigentlich?
Holly sah sich im Club um und erspähte ihre Freundin am Rand der Bühne sitzend, wo sie mit den Beinen baumelte und sich vor dem Karaoke-Moderator in Positur warf. Hollys Eltern waren nach der Siegerehrung Hand in Hand verschwunden, also blieb nur noch Richard.
Der blickte sich wie ein verirrtes Hündchen im Raum um und nahm aus lauter Nervosität alle paar Sekunden einen Schluck von seinem Drink. Holly wurde klar, dass sie gewirkt haben musste wie er – ein totaler Loser. Aber wenigstens hatte ihr Bruder eine Frau und zwei Kinder, zu denen er heimkehren konnte, während Holly nichts vorzuweisen hatte als ein Date mit einem Mikrowellengericht.
Holly stand auf, setzte sich ihm gegenüber auf den hohen Barhocker und versuchte, mit ihm ins Gespräch zu kommen.
»Na, amüsierst du dich gut?«
Erschrocken schaute er auf; anscheinend war er nicht darauf gefasst gewesen, dass jemand mit ihm reden wollte. »Ja, danke, Holly. Ich amüsiere mich prächtig.«
»Ich war ein bisschen überrascht, dass du überhaupt mitgekommen bist. Eigentlich dachte ich, das wäre nicht so ganz dein Ding.«
»Na ja, weißt du … man muss eben seine Familie unterstützen.« Er rührte in seinem Drink.
»Wo ist denn Meredith heute Abend?«
»Emily und Timothy«, antwortete er, als erklärten diese beiden Namen alles.
»Musst du morgen arbeiten?«
»Ja.« Abrupt leerte er sein Glas. »Da sollte ich wohl lieber mal aufbrechen. Du warst eine tolle Verliererin heute Abend, Holly.« Er sah noch einmal unbeholfen zum Rest seiner Familie hinüber, fragte sich offensichtlich, ob er sich verabschieden und damit riskieren sollte, dass er jemanden störte, entschied sich schließlich dagegen, nickte Holly zu und verschwand in der Menge. Holly überlegte, was sie von seinem Abgang halten sollte.
Jedenfalls war sie wieder allein und fühlte sich plötzlich schrecklich unsicher. Am liebsten hätte sie ihre Tasche unter den Arm geklemmt und wäre davongelaufen, aber sie wusste, dass sie die Sache aussitzen musste. Sie würde noch oft genug allein sein, allein unter lauter Pärchen, also war es am besten, wenn sie sich möglichst bald an diese Situation gewöhnte. Aber sie fühlte sich schrecklich und ärgerte sich, dass es niemand bemerkte. Dann schalt sie sich gleich wieder dafür, dass sie so kindisch war, denn sie konnte sich doch wirklich keine lieberen Freunde und keine bessere Familie wünschen. Gerry hatte ihre Familie und ihre Freunde zusammengeführt. Ob das wohl seine Absicht gewesen war? War er der Meinung gewesen, dass Holly das brauchte? Dass es ihr helfen würde? Vielleicht hatte er Recht. Sie hatte heute vor über hundert Leuten auf der Bühne gestanden, und jetzt saß sie hier zwischen lauter Paaren fest. Was auch immer Gerrys Plan sein mochte – auf alle Fälle zwang er sie, mutiger zu werden. Sitz es einfach aus, sagte sie sich. Aber so sehr sie sich bemühte, sie konnte das Gefühl nicht abschütteln. Sie kam sich vor wie das einzige Mädchen in der Disco, das nicht zum Tanzen aufgefordert wurde.
Mit einem Lächeln beobachtete sie ihre Schwester, die ohne Punkt und Komma auf Daniel einquasselte. Ciara war so anders als sie, so sorglos und selbstbewusst. Sie schien sich nie viele Gedanken über irgendetwas zu machen. So weit Holly sich zurückerinnern konnte, hatte Ciara Jobs und Freunde gewechselt wie andere Leute ihre Unterwäsche, war mit dem Kopf immer irgendwo anders, meist in Träumen von fernen Ländern verloren. Irgendwie wäre Holly schon gern ein bisschen mehr wie sie gewesen, aber sie war nun mal am liebsten zu Hause und konnte sich nicht vorstellen, Familie und Freunde und das Leben, das sie sich hier aufgebaut hatte, einfach hinter sich zu lassen. Das Leben, das sie einmal gehabt hatte.
Nachdenklich blickte sie zu Jack hinüber, der immer noch in seiner eigenen Welt mit Abbey versunken war. Auch ihm wäre Holly gern ähnlicher gewesen. Er liebte seine Arbeit, er war ein toller Lehrer, der von den Teenies respektiert und auf der Straße immer mit einem
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