Psalms of Isaak 01. Sündenfall
keine Sorgen über Dinge machen müssen, zu denen die Götter schon das Ihre gesagt haben.« Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. »Ganz gleich, wohin unsere Wege uns auch führen, wir werden immer zueinander zurückkehren.«
Du hast meine Träume von der Heimat gesehen. Die Worte hallten in ihm nach. Nicht die Träume des Sumpfkönigs. Meine Träume.
Sie stand ruhig vor ihm, ihr Blick erforschte den seinen, ihre Lippen leicht geöffnet, während sie beobachtete und abwartete, um zu sehen, ob er die Worte hinter ihren Worten vernehmen würde.
»Du bist …?« Seine Worte verklangen, als er versuchte, den Sinn darin zu erfassen.
Sie nickte. »Heute ist der Tag, den ich schon seit Langem mit Hoffnung und Angst in meinem Herzen getragen habe. Obwohl die Träume mir große Hoffnung geben und meine Angst nur daher kommt, dass ich fürchte, meine Täuschung könnte irgendwie dein Vertrauen in mich verletzen.«
Neb horchte in sich hinein. Überraschung schien jegliche Verletzung zu überflügeln, die er verspüren mochte, und doch ergab es einen Sinn. Niemals hatte er in seinen Träumen den kräftigen, in Pelze gekleideten Sumpfkönig gesehen, aber Winters war immer wieder darin aufgetaucht. Und auch ihre Täuschung schien ihm sinnvoll. Schon in seinen wenigen Monaten als Anführer war er schnell zu der Erkenntnis gelangt, wie vorsichtig ein Herrscher die Frage behandeln musste, wer wie viel wusste. Es war keine Frage des Vertrauens, wie ihm klar wurde, sondern eine Frage der Zweckmäßigkeit. Wenn ihr Geheimnis offenbar wurde, konnte das der sorgsam gesäten Angst der Benannten Lande vor den Sümpflern ein Ende setzen. Wenn herauskam, dass ein kleiner Steckling von einem Mädchen die Macht hinter der Armee war …
Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, und ihr Gesicht hüllte sich in Sorge. »Nebios, ich …«
Neb wartete nicht, bis sie ausgesprochen hatte. Der Augenblick war gekommen, und er erkannte ihn als das, was er war. Ohne nachzudenken, ohne sich auch nur eine Sekunde des Zögerns zu gestatten, trat er vor und schlang die Arme um sie. Er umfasste sie und drängte sich dicht an sie, sein Mund bewegte sich langsam auf sie zu, noch während ihr Kopf zurückfiel und ihre Augen sich schlossen.
Dann küsste Neb das Mädchen, dessen Träume sich mit seinen überschnitten, das Mädchen, das in Wahrheit der Sumpfkönig war, vor dem die Neue Welt schon zitterte, wenn sie nur an ihn dachte.
Er küsste sie und küsste sie immer weiter, und er hoffte, dass ihre Träume die Wahrheit sagten und sich ihre Wege wieder kreuzen würden.
Vlad Li Tam
Vlad Li Tam wartete in einer Schreibstube im oberen Raum eines gedrungenen, viereckigen Wachturms an der Grenze von Pylos. Er hatte die Vorbereitungen zu Hause in den Händen seiner fähigen Kinder belassen und hatte sich in einem seiner eisernen Schiffe zu diesem geheimen Treffen in Pylos eingeschifft. Sein vierter Sohn und seine dreizehnte Tochter begleiteten ihn zusammen mit zwei Trupps ihrer am besten ausgebildeten Männer und Frauen. Selbst jetzt waren sie magifiziert und bezogen verschiedene Stellungen rund um den Wachturm. Vlad saß mit seinem Adjutanten da und wartete.
Es klopfte an der Tür, und der Adjutant öffnete. Ein Mann im Androfranzinertalar trat ein und schlug die Kapuze zurück. Der Talar passte nicht zu General Lysias. Mit zusammengekniffenen Augen musterte er das Zimmer.
Vlad Li Tam deutete auf den Stuhl ihm gegenüber. Der Adjutant füllte die Gläser flink mit Würzfeuer auf, dem Zigeunerlikör, den er inzwischen so sehr mochte. »Bitte setzt Euch, General«, sagte er. »Trinkt mit mir.«
Lysias hielt sich das Glas unter die Nase und atmete den Geruch ein. Dann nahm er einen großen Schluck. »Ich bringe Nachricht von Sethberts Neffen«, sagte er. »Erlund ist mit der Abmachung einverstanden, auch wenn sie ihm nicht besonders gefällt.«
Vlad Li Tam zuckte die Schultern. »Gefallen und Nichtgefallen spielen dabei keine Rolle.«
Lysias nickte. »Ich habe ihm gesagt, dass ich keine bessere Lösung für den Konflikt sehe. Die Stadtstaaten befinden sich beinahe im Bürgerkrieg. Die Blockaden haben – zusätzlich zum Verlust von Windwir – der entrolusischen Wirtschaft schweren Schaden zugefügt.«
Vlad Li Tam fragte sich, wie es sich anfühlte, sich vom Dasein als General der mächtigsten Nation der Welt zu einem verzweifelten Mann zu entwickeln, der hoffte, zumindest einen Teil des Stolzes dieser Nation durch Verhandlungen in letzter
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