Psycho Logisch - Nuetzliche Erkenntnisse der Alltagspsychologie
betreffende Fähigkeit zu überschätzen. Gerade die Dümmsten halten sich also für die Klügsten und die schlechtesten Autofahrer sehen sich beim nächsten Formel-1-Rennen. Fragt man Studenten nach einer Selbsteinschätzung, empfinden sich die meisten als weit überdurchschnittlich. Das Gleiche gilt selbstverständlich für ihre Professoren. Und warum, glauben Sie, boomen seit jeher Bücher, die uns erklären, wie dumm die Gesellschaft ist? Genau. Weil jeder seinen Eindruck bestätigt sieht: Alles Deppen außer mir!
Die Überlegenheitsillusion lässt sich in fast allen alltäglichen Lebensbereichen beobachten. Anders ist es hingegen bei besonders schwierigen oder außergewöhnlichen Aufgaben, also bei weniger alltäglichen Dingen. Hier kehrt sich der Effekt manchmal um, und wir neigen dazu, unsere eigenen Fähigkeiten zu unter schätzen. Möglicherweise können Sie also schlechter Auto fahren, als Sie glauben – aber viel besser ein Raumschiff steuern.
Die Überlegenheitsillusion ist zunächst praktisch für jeden Einzelnen von uns. Sie gehört zu den sogenannten »selbstwertdienlichen Verzerrungen«. Sie hilft uns, ein positives Selbstbild zu entwickeln und zu behalten, uns grundsätzlich besser zu fühlen. Selbstüberschätzung kann tatsächlich auch zu außergewöhnlichen Leistungen anspornen – dafür sorgt die selbsterfüllende Prophezeiung.
Die Überlegenheitsillusion richtet aber auch großen Schaden an. Dieser Gedanke ist Ihnen vermutlich eben schon gekommen, als von Autofahrern die Rede war. Ein Großteil der Unfälle passiert, weil jeder Fahrer sich für einen überlegenen, ganz besonders guten Fahrer hält, der die Situation jederzeit unter Kontrolle hat. Das verleitet zu riskanten Überholmanövern und hohen Geschwindigkeiten oder dazu, auch ohne Winterreifen auf Glatteis zu fahren. Es verleitet aber auch Radfahrer und Fußgänger dazu, rote Ampeln aus Prinzip zu ignorieren (»völlig überflüssige Bevormundung durch den Staat; ich sehe doch, ob ein Auto kommt«). Allein in Deutschland kommt auf der Straße jeden Tag etwa ein Dutzend Menschen ums Leben. Zieht man davon diejenigen wenigen ab, die den Freitod suchen, so waren die übrigen Betroffenen bis kurz vor ihrem Tod der festen Überzeugung, sie hätten alles bestens unter Kontrolle.
Auch werden jeden Tag Menschen ermordet, obwohl jeder weiß, dass auf ein solches Verbrechen hohe Strafen stehen. Warum morden Menschen trotzdem (oder begehen andere Straftaten)? Weil jeder zum Zeitpunkt der Tat davon ausgeht: Ich lasse mich doch nicht erwischen … Die Überlegenheitsillusion stellt also grundsätzlich den Abschreckungseffekt von Strafe infrage.
Nicht zwingend um Menschenleben, aber um andere Dummheiten geht es in anderen Bereichen. So erklärt die Überlegenheitsillusion zum Beispiel, warum gerade die ungeeignetsten Kandidaten in einer Organisation am stärksten nach oben drängen – sei es in der Wirtschaft oder Politik. Auf den Finanzmärkten führt dieses Phänomen dazu, dass große Beträge mit Entscheidungen verzockt werden, die rational nicht mehr begründbar sind. Oft heißt es, die Gier ruiniere die Märkte – in Wahrheit ist es wohl eher die Selbstüberschätzung.
Die Überlegenheitsillusion ist auch dafür verantwortlich, dass die meisten Unternehmen aus ihrem Gehaltsgefüge ein Staatsgeheimnis machen. Ist das Gehaltsgefüge gerecht, sollte Transparenz dem Betriebsklima eigentlich eher nützen als schaden. Stellen Sie sich vor, Sie sind zehn Jahre alt und Ihr Zwillingsbruder sagte Ihnen: »Papa gibt mir Taschengeld, aber ich darf dir nicht sagen, wie viel.« Würden Sie glauben, dass hier alles gerecht abläuft? So ist es auch im Unternehmen. Wo Geheimnisse sind, wittern wir Ungerechtigkeiten. Nun haben manche Unternehmen versucht, ihre Gehaltsstruktur oder wenigstens bestimmte Gehaltskorridore offen zu legen. Das Ergebnis: So ziemlich alle Mitarbeiter ordnen sich auf der Skala ganz weit oben ein, jeder hält seine eigenen Fähigkeiten, seine Leistungen, seinen Wert für weit überdurchschnittlich. Wer wollte auch schon Durchschnitt sein – oder gar darunter? Weil keiner »normal« bezahlt werden möchte, halten die Unternehmen die Gehaltsdaten dann doch lieber gleich unter Verschluss.
Auch vor Gericht wird viel Zeit und Geld verloren, weil wir uns alle selbst überschätzen. Bei vielen Verfahren ist die Rechtslage bereits am Anfang völlig klar – seriöse Anwälte versuchen einen Mandanten auch immer von einem aussichtslosen
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