Psycho Logisch - Nuetzliche Erkenntnisse der Alltagspsychologie
gleichsetzt. Streit allerdings ist erst die eskalierte Form von Konflikt und damit alleine schon sprachlich sehr negativ besetzt. Der berühmte Konfliktforscher Friedrich Glasl unterscheidet neun Stufen der Konflikteskalation; sie reichen von »Verhärtung« bis zu »gemeinsam in den Abgrund«. Wie weit es am Ende eskaliert, hängt jedoch einzig davon ab, wie wir unsere Konflikte austragen.
Vor diesem Hintergrund können wir so weit gehen zu behaupten: Ein Konflikt kann sogar sehr positiv sein. Denn was bewirken Spannung und Dynamik? Bewegung, Veränderung und Entwicklung; sie sind der Motor für Evolution und Revolution.
Lassen Sie uns zur Veranschaulichung die obige Familien-Fehde aufdröseln. Normalerweise sammeln wir in solchen Situationen jeweils gute Argumente für unseren Standpunkt, unser Ziel: »Wenn ihr euch nicht an der frischen Luft bewegt, werdet ihr krank«, »Immer müssen wir machen, was ihr wollt« oder: »Menno – ihr habtuns aber vor drei Jahren versprochen, dass wir heute die Sesamstraße gucken dürfen.« Damit liefern wir uns dann einen stürmischen Schlagabtausch und am Ende gewinnt die eine Seite, die andere verliert. Der Sonntag ist im Eimer und auf beiden Seiten bleibt ein schales Gefühl zurück. So jedenfalls bei der »normalen« Lösung, der Alltagskonfliktlösung.
Wie aber kann der Konflikt ein Antrieb für Entwicklung werden?
Die Lösung besteht darin, sich von der konkreten Position, dem konkreten Wunsch, zu lösen und nach dem Bedürfnis zu suchen, das hinter diesem Wunsch steht. In der Regel lassen sich die zugrunde liegenden Bedürfnisse auch auf eine Art und Weise befriedigen, die keinen Konflikt erzeugt. Gehen wir also im Beispiel auf die Hintergründe ein und erforschen die zugrunde liegenden Interessen und Bedürfnisse: Vielleicht hatten die Eltern eine anstrengende Arbeitswoche und versprechen sich vom Sonntagsspaziergang Entspannung. Vielleicht hatten die Kinder eine anstrengende Schulwoche und versprechen sich vom Fernsehen – Entspannung.
Ja, gibt’s denn so was? Obwohl die Zielvorstellungen vordergründig unvereinbar sind, wird deutlich: Sobald wir die tiefer liegenden Schichten berücksichtigen, zeigen sich Gemeinsamkeiten – und die ebnen den Weg zu Vereinbarkeiten.
Dieses Prinzip macht sich auch die Mediation zunutze, die Vermittlung in Konflikten. Das Erkennen der Gemeinsamkeiten motiviert dann zu einer möglichen und einvernehmlichen Lösung: mittags alle Mann und Frau spazieren gehen, nachmittags die ganze Bagage ins Kino. Oder, noch besser: einen Spaziergang zum Kino. Mit dieser Lösung sind dann alle sehr zufrieden! Der Konflikt, der zunächst unangenehm war, kann durch die interessen- und bedürfnisorientierte Vorgehensweise aufgelöst werden. Der dynamische Spannungszustand hat die Beteiligten im Sinne von Bewegung, Veränderung und Entwicklung weiter gebracht, als sie ohne ihn gekommen wären.
Diese Situation heißt eben deshalb »Win-Win«, weil es am Ende nur Gewinner gibt.
Zurück zum Orangenstreit der Eingangsgeschichte. Wären Sie mit den beiden Schwestern ins Gespräch und auf deren Bedürfnisebene gekommen, hätten Sie festgestellt: Die eine möchte einen Kuchen backen und benötigt die Schale, die andere möchte einen Saft pressen und benötigt das Fruchtfleisch. Das ist Win-Win. Beide hätten jeweils 100 Prozent bekommen! Das ist in den meisten Fällen möglich, und dieses Prinzip ist auch unser hier verfolgter Ansatz.
Ähnliches ergibt der innere Konflikt zwischen »Spaß-« und »Finanzminister«: Der eine wünscht sich Freiheit, der andere Sicherheit. Unter Berücksichtigung dieser Bedürfnisse sind viele Lösungen denkbar: Eine gewisse Zeit besonders ranzuklotzen, mit der Aussicht, sich dann einen besonderen Urlaub verdient zu haben; sich bei der Arbeit besonders anzustrengen, um befördert zu werden und somit mehr Freiheiten zu genießen; sich die Freiheit zu nehmen, um gezielt zu entspannen, und damit zu gewährleisten, gesund zu bleiben, was ebenfalls Sicherheit vermittelt; oder, oder, oder.
Probieren Sie doch Folgendes aus. Bevor Sie das nächste Mal einen Konflikt verteufeln: Halten Sie für einen Moment inne und zählen vor dem inneren Auge die Konflikte in Ihrem Leben auf, die Ihnen rückblickend einen Vorteil verschafft haben. Sie werden auf mindestens einen pro Lebensjahr kommen. Das motiviert Sie, auch im jeweils aktuellen Konflikt auf die Hintergründe eingehen zu wollen – um dann gemeinsam mit Ihrem Konfliktpartner oder
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