Psychologische Homöopathie
wirkten, daß ich ihnen zunächst Phosphor gab, was aber nicht half. Bei genauerer Untersuchung entdeckte ich, daß diese positive Haltung nur der Versuch war, frühere unglückliche Erfahrungen und Gefühle der Wertlosigkeit in den Hintergrund zu drängen. Nachdem ich ihnen Natrium muriaticum gegeben hatte, ging es diesen Patienten sehr viel besser.
Zu der oberflächlich positiven Haltung von Natrium gehört es, viel zu lächeln. Jemand, der immer lächelt, ist entweder geisteskrank oder Natrium muriaticum. Sie lächeln, wenn sie unglücklich sind, und wenn sie glücklich sind, übertreiben sie, indem sie noch mehr lächeln und ständig darüber reden, wie glücklich sie sind. Je künstlicher das Lächeln ist, desto größer ist das Unglück, das darunter verborgen liegt, und desto leichter ist es für den Homöopathen, die Luftblase zum Platzen zu bringen, so daß die Tränen fließen. Natrium-Frauen plaudern oft vergnügt über »sichere« Themen und lächeln dabei die ganze Zeit. Es ist sehr charakteristisch für Natrium, am Ende des Satzes zu lächeln, ganz gleich wie ernst der Inhalt dieses Satzes war. Wennder Homöopath die Frau aber fragt, ob ihre Ehe glücklich ist, hat sie häufig Tränen in den Augen, und ihr Lächeln wirkt weniger überzeugend. Wenn er noch weiter unter die Oberfläche schaut, fließen die Tränen, und das Lächeln verschwindet.
Noch pathologischer ist der Natrium-Typ, der immer lacht (Kent: »lacht hemmungslos«). Er hat den Ruf, ein jovialer Mensch zu sein, den man immer gerne um sich hat. Er weiß, daß er sehr unglücklich ist, aber er zeigt es nicht. Eines Tages begeht er Selbstmord, und niemand kann es glauben. Viele Natrium-Typen lachen, wenn sie über ernsthafte Dinge reden, die sie innerlich aufregen (Kent: »lacht über ernsthafte Angelegenheiten«). Bei der ersten Konsultation lacht etwa die Hälfte meiner Patienten, wenn ich sie bitte, ihre Persönlichkeit zu beschreiben. Sie sind alle Natrium, und sie sind verlegen und fühlen sich bedroht, weil sie etwas von sich selbst preisgeben sollen. Während der Psycohotherapie bitte ich sie, mit dem Lachen aufzuhören, was unweigerlich zu einer Flut von Tränen führt.
Die positiven Denker haben oft New-Age-Bücher gelesen, in denen sie ermutigt werden, »Affirmationen« zu benutzen. Einige gehen in dieser Beziehung ziemlich weit, schreiben die Affirmationen auf und hängen sie zu Hause an die Wand. Aber leider können noch so viele Botschaften wie »Ich bin liebenswert«, »Ich ziehe in meinem Leben das an, was ich brauche« und »Ich bin schön« die Natrium-Psyche nicht überzeugen, denn sie empfindet genau das Gegenteil. Der betreffende Mensch mag diese Affirmationen eine Weile glauben, aber dieser Glaube ist zerbrechlich und paßt schlecht zur eigenen inneren Wahrnehmung. Affirmationen sind wie Antidepressiva. Sie decken die unangenehmen Gefühle zu, führen aber nicht immer dazu, daß man sie los wird. Irgendwann muß man sich mit diesen Gefühlen auseinandersetzen, um sie dann loslassen zu können, und wenn Natrium das begreift, verzichtet er auf Affirmationen und Antidepressiva und erlaubt sich zu weinen.
Wenn Natrium positiv denkt, wird sie (gewöhnlich sind es Frauen) meist ziemlich missionarisch in dem Bemühen, ihre Düsternis und Verzagtheit zu vertreiben. Sie hält Predigten und versucht andere zu ihrem System des positiven Denkens zu bekehren. Es genügt ihr nicht, selbst positiv zu denken, sondern andere müssen es genauso machen. Solche Frauen sind meist süchtig danach, zu geben und sich um andere Leute zu kümmern, und beim positiven Denken meinen sie, sie hätten die Perle gefunden, die sie mit der Welt teilen könnten. Wie bei allen Fanatikern ist ihr Eifer ein Zeichen von Unsicherheit, und sie fühlen sich ziemlich betroffen, wenn jemand ihren missionarischen Bemühungen widersteht. Bei solchen Gelegenheiten verfallen sie oft in eineArt spiritueller Arroganz und sagen Dinge wie »Du sagst das jetzt nur, weil du verletzt bist« oder »Öffne dich für das Gute, wie ich es getan habe. Liebe dich selbst, und du wirst erstaunt sein, was für ein wunderbarer Mensch du bist«. Natürlich bietet sich die Religion als Vehikel für solches Missionieren an, und die große Mehrheit der gläubigen Prediger sind Natrium, vor allem die wiedergeborenen. Auch professionelle Wohltäter mit moralischer Ausrichtung sind fast immer Natrium. Beispiele dafür sind unter anderem Mrs. Mary Whitehouse, die britische Vorkämpferin
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