Psychologische Homöopathie
denn dazu bedarf es der freiwilligen Einschränkung durch Selbstdisziplin. Das geht Phosphor gegen den Strich seiner natürlichen Spontaneität und erfordert eine Art von geistiger Konzentration, die entweder als langweilig oder als anstrengend empfunden wird. Phosphor hat etwas Flatterhaftes und Flüchtiges. Dadurch kann er leicht über die große Bühne des Lebens gleiten, die Dinge nach ihrem äußeren Anschein beurteilen und dann oberflächlich über Angelegenheiten hinweggehen, die mehr Aufmerksamkeit und tieferes Engagement erfordern, wie etwa das Kleingedruckte bei einem Vertrag oder die Rückzahlung von Schulden. Phosphor macht notorisch Schulden, um seine vorübergehenden Leidenschaften zu finanzieren (ganz gleich ob er nun Alkohol oder einen Ferrari kauft oder etwas für Kinder in Not spendet), ohne auch nur im geringsten daran zu denken, ob er das Geld auch zurückzahlen kann. Er denkt dabei weder an frühere Erfahrungen, die ihn vor den Gefahren seines gegenwärtigen Handelns warnen könnten, noch versucht er, sich die wahrscheinlichen Folgen seines impulsiven Verhaltens bewußtzumachen. Er vertraut einfach darauf, daß alles gutgehen wird, und wenn das nicht der Fall ist, reagiert er verwirrt und panisch. Er ist großzügig gegenüber Menschen in Not (sowohl weil er mitfühlend ist als auch weil er den Wert des Geldes nicht kennt), und er erwartet, daß andere ihm helfen, wenn er selbst Probleme hat, auch wenn diese Probleme ausschließlich eine Folge seiner eigenen Kurzsichtigkeit sind. Dabei hat Phosphor so viel Charme und kann in seiner Erregungso verzweifelt und pathetisch wirken, daß er oft tatsächlich jemanden findet, der ihm aus der Patsche hilft. In solchen Situationen kann er echten Streß mit einem guten Schuß Schauspielerei garnieren, um Sympathie und Unterstützung zu gewinnen.
Übertreibung und emotionale Dramatisierung ist ein verbreiteter Zug bei Phosphor-Menschen. Beim Erzählen machen sie ihre Geschichten damit dramatischer und interessanter, aber wenn sie in Schwierigkeiten stecken, neigen sie besonders dazu, die Dinge zu beschönigen, sowohl verbal im Hinblick auf die Einzelheiten der Situation (selbstverständlich zu ihrem eigenen Vorteil) als auch emotional, indem sie ihre Gefühle übertreiben, um die Aufmerksamkeit von den Fakten abzulenken und ihr Bedürfnis nach Unterstützung zu betonen. Diesen großen unschuldigen Augen kann man besonders schwer widerstehen, wenn sie voller Tränen sind. Ungeachtet der zugrundeliegenden Situation lösen sie meist auf der Stelle Mitgefühl aus. Folglich läßt man Phosphor-Menschen vieles durchgehen, besonders in ihrer Jugend. Da sie nicht zurückblicken, leiden sie auch nicht besonders unter Schuldgefühlen, wenn sie andere in Unannehmlichkeiten gebracht haben, obwohl sie vielleicht für einen kurzen Moment geschockt sind und Reue empfinden, wenn sie mit dem Schmerz konfrontiert werden, den sie anderen zugefügt haben. Aber dann ist die Sache vorbei, und ihr merkurischer Geist ist schon wieder irgendwo anders. Da Phosphor für so viele verschiedene Gefühle und Eindrücke offen ist, ist die Fähigkeit zu vergessen, was vorbei ist, eine Art Schutzmechanismus, der hilft, eine Überlastung zu verhindern.
Kürzlich habe ich ein amüsantes Beispiel dafür erlebt, wie Phosphor sich entschuldigt. Vor einigen Jahren hatte ich einer Phosphor-Freundin (sie reagierte bei einer ernsthaften Krankheit gut auf das Mittel) einen größeren Geldbetrag geliehen, den sie schnellstmöglich zurückzahlen wollte. Überflüssig zu sagen, daß sie es nicht tat, und ich gab jede Hoffnung auf, das Geld wiederzubekommen. Jahre später traf ich sie überraschend, nachdem ich sie in der Zwischenzeit nicht mehr gesehen hatte. Sie kam zu mir, und nachdem wir uns umarmt hatten, sah sie mich ernst an und sagte, sie müsse mit mir reden. Dann erklärte sie mir, sie habe nicht vergessen, daß sie mir das Geld schulde. Ich wartete darauf, daß sie mir anbieten würde, es zurückzuzahlen, und als sie davon nichts erwähnte, fragte ich sie, wann sie ihre Schulden begleichen wollte. Sie lächelte verlegen und sagte, sie werde mich irgendwann einmal zum Essen einladen. Ich war zu überrascht und amüsiert, um ärgerlich zu sein.
Flucht ist ein Eckstein der Abwehrmechanismen von Phosphor. Wenn die Realität unangenehm wird, neigt er noch mehr als Sulfur und Lycopodiumdazu, entweder physisch oder mental aus der Tür zu schlüpfen und sich eine nettere Umgebung zu suchen. Seine
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