Psychopath
schlichte Meinungsverschiedenheit.«
»Aber es war wert, dafür deinen Job aufzugeben?«, fragte er.
»Das wird sich zeigen«, erwiderte sie. Ein langes Schweigen folgte. Es beunruhigte sie. »Dad? Bist du noch dran?«
»Du hast die heutige New York Times nicht gesehen?«
»Nein. Warum?«
»Sie haben einen weiteren Brief vom Highwaykiller abgedruckt. Hanley und Kane Warner wurden völlig überrumpelt.Sie hatten gedacht, Roland würde ihn unter den Tisch fallen lassen.« Er räusperte sich. »Es steht eine Menge über dich und Frank Clevenger darin.«
McCormick fühlte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Es war schlimm genug, dass das FBI von ihrer Affäre mit Clevenger erfahren hatte. Jetzt wusste es jeder. Jetzt wusste es ihr Vater. Sie kam sich vor wie ein kleines Mädchen, das beim Knutschen ertappt worden war, und das machte sie wütend. »Deswegen haben sie mir den Highwaykiller-Fall entzogen, wegen ... Clevenger, was wirklich Quatsch ist. Also habe ich gekündigt.«
»Das war die ›schlichte Meinungsverschiedenheit‹?«, fragte ihr Vater.
»So ziemlich.« Sie wappnete sich für eine Gardinenpredigt, dass sie ihn enttäuscht habe, dass man Beruf und Vergnügen nie vermischen solle, dass man als Mitglied der Familie McCormick einen Ruf zu verlieren habe, dass man als ein McCormick nie nur an sich selbst denken dürfe. Man müsse ein Vorbild sein. Sie hatte das alles schon hundertmal gehört.
Doch diesmal bekam sie es nicht zu hören.
»Bist du wirklich okay?«, sagte ihr Vater zaghaft, und seine Stimme verlor ihre Autorität, erwärmte sich in jener unbeschreiblich tröstlichen Art, wie sie es immer tat, wenn er spürte, dass seine Tochter ihn wirklich brauchte.
Sie setzte sich auf die Bettkante. »Ja, wirklich.«
»Wir könnten eine Flasche Wein bei Mario trinken und uns von Angesicht zu Angesicht unterhalten.«
»Ich bin nicht zu Hause«, war das Einzige, was ihr zu sagen einfiel.
»Oh.«
Sie wusste, das klang, als sei sie bei Clevenger. Sie wollte bei ihm nicht diesen Eindruck hinterlassen. »Ich muss noch mein Büro ausräumen und einige offene Fragen zu den Ermittlungen klären. Ich möchte Kane gern morgen früh alles übergeben. Es wird eine lange Nacht werden.«
»Wenn es irgendetwas gibt, das ich tun kann, werde ich es tun, das weißt du.«
Das wusste sie. Sie wusste, er würde mit Freuden jede offene Frage in ihrem Leben klären und alles so erscheinen lassen, als sei es bestens geregelt. Doch das wäre es nicht. Denn selbst wenn ihr Vater Jake Hanley überreden konnte, ihre Kündigung abzulehnen, selbst wenn er dafür sorgte, dass man ihr den Highwaykiller-Fall wiedergab, würde sie sich immer noch dieselbe Frage stellen, die sie verfolgt hatte, seit sie in seinen Fußstapfen ihren Weg von der Andover Academy über Dartmouth (College für ihn, College und Medizinstudium für sie) zum FBI gegangen war: War sie eine Persönlichkeit aus eigener Kraft, oder war sie im Grunde nichts weiter als die Tochter von Dennis McCormick? »Ich komme schon zurecht«, sagte sie.
»Dann also gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
»Ich liebe dich«, sagte er hastig. »Nichts wird das je ändern.«
»Ich liebe dich auch.« Sie schaltete das Telefon ab und saß lange da und sinnierte, was ihr Vater wohl denken musste, wollte ihn zurückrufen, ihm sagen, wo sie war, ihm sagen, dass sie auf der Stelle zurück nach Hause, zurück zu ihm fliegen würde. Doch dann fiel ihr wieder ein, was er über den jüngsten Brief des Highwaykillers in der New York Times gesagt hatte. Und sie spürte, wie sie neue Kraft bekam, wie jegliche Spuren von Sorge und Erschöpfung in ihrem Körper fortgespült wurden von einer Woge der Entschlossenheit, die sich aus den unterbewusst tosenden Fluten ihrer Scham speiste. Ihr Drang, ihre Gier, den Highwaykiller zu fassen, war stärker als je zuvor. Denn jetzt war sie öffentlich gedemütigtworden. Jetzt hatte sie weit jenseits der Tore vom FBI etwas zu beweisen. Sie musste den Millionen von Menschen, die an jenem Morgen die Schlagzeilen der Times gelesen hatten, etwas beweisen.
Clevengers Kampf an diesem Tag ging tatsächlich über alle Runden, fünfzehnmal gnadenlos zurück in den Ring, ein ernüchterndes Telefongespräch mit seiner Anwältin Sarah Ricciardelli, die ihm riet, sich für eine lange und kostspielige Sorgerechtsschlacht zu wappnen, ein Besuch bei Billy, den sie beide auf dem falschen Fuß begonnen hatten, zwei Zusammenstöße mit Reporterrudeln, die ihn mit Fragen
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