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Psychopath

Psychopath

Titel: Psychopath Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Ablow
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vom Jugendamt Wyoming. Und in jenen Minuten wurden Clevengers Worte von den Linsen seiner Augen erfasst, wurden auf seinen Netzhäuten in elektrische Muster verwandelt, schickten Impulse durch die Neuronen des Sehstrangs bis zur Hinterhauptrinde seines Gehirns, breiteten sich von Synapse zu Synapse in seinem limbischen System und in seinen Stirnlappen aus und wurden dann durch bislang noch gänzlich unerklärte Prozesse in seinen Verstand und, tiefer noch, in seine Seele weitergeleitet.
    In jenem Hexenkessel beschützte eine unergründliche Alchemie Jonah vor dem Ansturm der Wahrheit, die Clevenger beschrieben hatte, und verwandelte das, was seine Trauer, seine Scham, seine Wut auf seine Mutter hätte sein sollen, in Wut auf Clevenger, weil er den Namen eines Engels besudelt hatte. Und sein Hass auf Clevenger und McCormick und den Rest der Jäger des FBI wurde hart wie ein Diamant und klar wie das Wasser in den Bergen, die seine Zuflucht waren.
    Clevenger hatte abermals einen Köder ausgelegt, hatte seine Angel nach jemandem ausgeworfen, der sich an ein Zusammentreffen mit Jonah erinnerte, der sich daran erinnerte, eine »unmittelbare und intensive« Verbindung aufgenommen zu haben – »in einer Weise, die er oder sie sehr wahrscheinlich nie wieder vergessen wird«. Er versuchte nicht einmal mehr, so zu tun, als wolle er ihn heilen. Er wollte ihn nur noch fassen und einsperren.
    Noch schlimmer war die »Verordnung« gegen Ende des Briefes, Clevengers arroganter Zweifel an der ursprünglichen Verletzung in Jonahs Leben, seine dumme Behauptung, der sadistische Vater, von dem er gequält worden war, habe nie existiert:
     
    Legen Sie diesen Brief einen Moment beiseite, schließen Sie Ihre Augen, und stellen Sie sich abermals die Szene im Haus vor, die Sie beschrieben haben. Geben Sie der Person, die Sie schlägt, Sie beschimpft, Ihre Spielsachen kaputtmacht, das Gesicht Ihrer Mutter. Können Sie überhaupt ertragen, das zu tun? Und wenn Sie Ihrem Angreifer jenes Gesicht gegeben haben, können Sie es dann noch wieder wegnehmen? Oder ist es dort fest von der Realität verankert, von der Wahrheit, die der Highwaykiller niemals ertragen könnte – dass Ihre Mutter, wie Sie selbst, gleichzeitig Dunkelheit und Licht, Gut und Böse, Himmel und Hölle war.
     
    Jonah zerknüllte die Zeitungsseite, wrang sie in seinen Händen, ganz so, wie er mit Freuden Clevengers Hals umgedreht hätte. Und als er losließ und auf seine weißen, blutlosen Fäuste starrte, stellte er sich Clevenger und McCormick vor, beim Tête-à-tête in irgendeinem Büro der FBI-Akademie in Quantico, stellte sich vor, wie sie einander anhimmelten, einander betatschten, nach Sex stanken, die vergifteten Botschaften an ihn ausbrüteten, mit deren Hilfe sie ihn zerstören und in den Wahnsinn treiben wollten.
    Welcher Gegensatz zwischen ihren engstirnigen Versuchen, ihn einzusperren, und seinen eigenen Bemühungen, sich vom Bösen zu befreien. Er hatte die Einladung von Dr. Corrine Wallace angenommen. Er hatte sich mit Sally Pierce’ Kollegen und mit ihrer Tochter Marie zusammengesetzt und hatte ihren Schmerz in sich aufgenommen. Einen nach dem anderen. Über fünf Stunden lang. Er hatte Marie Pierce im Arm gehalten, während sie schluchzte, wie sehr sie ihre Mutter vermisste. Und er hatte ihren Verlust gefühlt, als ob es sein eigener wäre – so stark, dass er sich dabei ertappte, wie er mit ihr weinte. Wie Christus hatte er ihrer Trauer in sich eine Heimstatt gegeben.
    Er bemühte sich verzweifelt, mit jeder Zelle seines Leibes, sich des Himmels wert zu erweisen, während Clevenger und McCormick Tag und Nacht ihre Ränke schmiedeten, um ihn in die Hölle zu verbannen.
    Es klopfte an der Tür. Er atmete ein paarmal tief durch, zwang sich unter Aufbietung all seiner Willenskraft, seine Fäuste zu öffnen, und stopfte die zerknüllte Titelseite der New York Times in seine Aktentasche. Er versuchte aufzustehen, doch seine Beine wollten sich nicht bewegen. Sein Zorn hatte ihn wieder einmal gelähmt. Er versuchte es noch einmal. Nichts. »Herein«, rief er, außerstande, die Verärgerung in seiner Stimme zu unterdrücken.
    Die Tür ging auf. Sue Collins vom Jugendamt, eine zierliche Frau, gerade einmal eins fünfzig groß und nicht mehr als vierzig Kilo schwer, stand mit Hank, Heaven und Sam Garber davor. »Kommen wir zu früh?«, fragte sie zaghaft.
    »Ganz und gar nicht. Bitte, kommen Sie herein.« Er realisierte, wie seltsam es aussehen musste, dass er nicht

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