Psychopathen
sein«, sagte einer von ihnen. »Aber ich bin weiß Gott nicht dumm.«
Scott Lilienfeld ist Professor für Psychologie an der Emory University in Atlanta und einer der weltweit führenden Experten, wenn es um Psychopathen geht. Oder, wie er es formuliert, um erfolgreiche Psychopathen: diejenigen, die eher einen Mordsgewinn am Aktienmarkt machen, als einen Mord in einem finsteren Seitengässchen begehen. Während wir uns in einem einfachen Restaurant ein oder zwei Meilen von seinem Büro entfernt Alligator-Tortillas schmecken lassen, frage ich ihn nach dem Beerdigungs-Rätsel. Was geht hier vor? Was finden wir eigentlich so aufregend an Geschichten wie diesen?
»Ich glaube, der Reiz von Dingen wie diesen liegt in ihrer Einfachheit«, sagt er. »Der Gedanke, dass wir die Psychopathen in unserer Mitte durch eine einzige Rätselfrage enttarnen und uns vor ihnen schützen können, hat etwas Beruhigendes. Leider ist es aber nicht so einfach. Natürlich können wir herausfinden, wer sie sind. Aber das erfordert mehr als nur die eine Frage. Es erfordert eine ganze Reihe von Fragen.«
Er hat recht. »Patent«-fragen, die auf raffinierte Weise unsere wahre Wesensart enthüllen können, existieren in Wirklichkeit nicht. Die Persönlichkeit ist einfach ein viel zu komplexes Gebilde, um ihre Geheimnisse allein auf der Basis einer einzigen Frage preiszugeben. Tatsächlich haben die Experten auf diesem Gebiet über die Jahre hinweg umfangreiche Fragenkataloge erstellt.
Die Persönlichkeitsjäger
Die Persönlichkeit – oder vielmehr das Messen der Persönlichkeit – hat eine lange Geschichte. Es begann im alten Griechenland mit Hippokrates (460–377 v. Chr.), dem Vater der westlichen Medizin. Hippokrates, der sich auf die Weisheit noch früherer Traditionen stützte (die Himmelsberechnungen der babylonischen Astrologie z. B.), die die Weisen des alten Ägypten und die Mystiker Mesopotamiens in der Levante verbreitet hatten, unterschied vier Temperamente im Kanon der menschlichen Emotionen: sanguinisch, cholerisch, melancholisch und phlegmatisch.
Abb. 2.1. Hippokrates’ vier Temperamente
Nach Hippokrates passierte zweieinhalb Jahrtausende lang nicht viel, bis 1952 der britische Psychologe Hans Eysenck der alten dyadischen Taxonomie des Vaters der westlichen Medizin schließlich ein neues Gewand gab. 17 Nach umfassenden Fragebogenanalysen und ausführlichen klinischen Interviews identifizierteer zwei grundlegende Dimensionen der Persönlichkeit:
Introversion/Extraversion
und
Neurotizismus/Stabilität
(eine dritte Dimension,
Psychotizismus
, charakterisiert durch Aggression, Impulsivität und Ichbezogenheit, wurde später hinzugefügt). Die beiden Dimensionen schlossen bei orthogonaler Darstellung die vier klassischen, von Hippokrates identifizierten Temperamente mit ein.
Abb. 2.2. Eysencks Persönlichkeitsmodell, das Hippokrates’ vier Temperamente integriert (aus Eysenck & Eysenck, 1987)
Die cholerische Persönlichkeit (unruhig, reizbar) entsprach Eysencks neurotischer Extraversion, die melancholische (depressiv, introspektiv) der neurotischen Introversion, die sanguinische (herzlich, dynamisch) der emotional stabilen Extraversion unddie phlegmatische (ruhig, verschlossen) der emotional stabilen Introversion. Hippokrates war, so scheint es, nicht nur der Vater der modernen Medizin, sondern auch der menschlichen Natur.
Eysencks Zweitaktmodell der Persönlichkeit war eindeutig magersüchtig im Vergleich zu dem riesigen Korpus an Merkmalen, das der amerikanische Psychologe Gordon Allport rund zwanzig Jahre zuvor ausgegraben hatte. 18 Im Einklang mit der sogenannten »lexikalischen« Hypothese, derzufolge alle wichtigen Persönlichkeitsmerkmale durch persönlichkeitsbeschreibende Worte in der Sprache repräsentiert sind, stach Allport im Rahmen seiner Angeltour in die tiefe, wortreiche See von ›Webster’s New International Dictionary‹. Wie viele persönlichkeitsbeschreibende Adjektive waren dort wohl zu finden?, fragte er sich. Eine ganze Menge, wie sich herausstellte. Er kehrte mit einer Ausbeute von 18 000 wieder ans Ufer zurück. Nachdem Allport alle Beschreibungen, die sich auf vorübergehende (z. B. freudig erregt; beschämt) statt dauerhafte Merkmale bezogen, von seiner Liste gestrichen hatte, blieb die etwas überschaubarere Menge von 4500 Wörtern übrig.
Doch erst als Raymond Cattell, Psychologe an der University of Illinois, 1946 – eben zu der Zeit, als Eysenck an seinem Modell herumbastelte – Allports
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