Psychopathen
erfordern, introvertierte Menschen eher in »einsamen« oder »besinnlichen« Berufen wie grafische Gestaltung oder Buchhaltung. So wie Gewissenhaftigkeit ist auch Verträglichkeit in fast jeder Hinsicht leistungsfördernd, spielt aber vor allem in solchen Berufen eine Rolle, in denen die Betonung auf der Teamarbeit oder dem Dienst am Kunden liegt, wie z. B. in der Krankenpflege oder bei den Streitkräften. Doch im Unterschied zur Gewissenhaftigkeit können beim Faktor Verträglichkeit auch niedrigere Punktwerte nützlich sein – nämlich in mörderischen Arenen wie den Medien, in denen die Egos aufeinanderprallen und oft ein erbitterter Kampf um die Ressourcen (Ideen, Geschichten, Lizenzen) stattfindet.
Schließlich wäre da noch der Neurotizismus, der wohl heikelste der fünf Faktoren des NEO. Doch auch, wenn kein Zweifel daran besteht, dass in Berufen, in denen Konzentration und Besonnenheit gefragt sind (wobei das Cockpit und der Operationssaal nur zwei Beispiele darstellen), emotionale Stabilität und Kaltblütigkeit unter Druck oft den Ausschlag geben, so sollte man nicht vergessen, dass die Ehe zwischen Neurotizismus und Kreativität eine dauerhafte ist. Einige der größtenWerke der Kunst und Literatur wurden nicht in den leicht zugänglichen Außenbezirken des Gehirns, sondern in den tiefen, unerforschten Labyrinthen der Seele geboren.
Wenn Arbeitspsychologen also auf der Grundlage von Modellen der beruflichen Leistung Unterschiede im Temperament aufgedeckt haben, Persönlichkeitsachsen, die für den Erfolg am Arbeitsplatz verantwortlich sind, wie passen die Psychopathen dann dort hinein? Um dies herauszufinden, führten Donald Lynam und seine Kollegen von der University of Kentucky 2001 eine Studie durch und entdeckten, dass sich hinter deren einzigartiger Persönlichkeitsstruktur eine verräterische, gleichermaßen unbarmherzige und faszinierende Konfiguration von Merkmalen verbirgt. 25
Lynam bat eine Gruppe von Psychopathieexperten aus aller Welt (Wissenschaftler, die eine Erfolgsgeschichte auf diesem Gebiet aufweisen konnten), auf einer Skala von 1 bis 5 (wobei 1 extrem gering, 5 extrem hoch war) zu bewerten, wie Psychopathen ihrer Meinung nach bei dreißig Untermerkmalen abschnitten – den Bestandteilen jeder der Hauptdimensionen der Big Five. Die Ergebnisse waren wie folgt:
Tabelle 2.3. Expertenbeurteilungen des psychopathischen Persönlichkeitsprofils anhand des Abschneidens bei den Big Five (Miller et al., 2001)
Wie zu sehen, haben die Experten die Psychopathen, wenn es um Verträglichkeit geht, durchweg im unteren Bereich angesiedelt – was nicht weiter überrascht, da Lügen, Manipulation, Gefühllosigkeit und Arroganz bei den meisten Klinikern als Goldstandard für psychopathische Merkmale gelten. Auch beim Faktor Gewissenhaftigkeit gibt es keine Überraschungen: Die Beurteilungen für Impulsivität, Mangel an langfristigen Zielen und das Versagen, Verantwortung zu übernehmen, fallen erwartungsgemäß aus. Aber achten Sie darauf, wie das Merkmal Kompetenz, ein Maßstab für das unerschütterliche Selbstvertrauen und die unbekümmerte Gleichgültigkeit gegenüber Widrigkeiten, sich dem Trend widersetzt und wie sich dieses Muster beim Neurotizismus wiederholt: Angst, Depression, Gehemmtheit und Verletzlichkeit sind kaum auf dem Radar zu sehen. Und wenn zusätzlich Extraversion (Durchsetzungsvermögen und Aufregung suchend) sowie Offenheit für Erfahrung (Aktionen) stark ausgeprägt sind, haben wir es mit diesem seelenlosen natürlichen Charisma zu tun.
Das Bild, das sich ergibt, ist das einer ungemein starken, aber geheimnisvoll quecksilbrigen Persönlichkeit. Umwerfend und erbarmungslos auf der einen, eiskalt und unberechenbar auf der anderen Seite.
Das Bild eines US-Präsidenten? 26 Wohl eher nicht, könnte man zunächst meinen. Doch 2010 tat Scott Lilienfeld sich mit dem forensischen Psychologen Steven Rubenzer sowie mit Thomas Faschingbauer, Professor für Psychologie an der Foundationfor the Study of Personality in History in Houston, Texas, zusammen und half ihnen bei der Analyse einiger sehr interessanter Daten. Im Jahr 2000 hatten Rubenzer und Faschingbauer das NEO Personality Inventory an die Biografen sämtlicher US-Präsidenten der Geschichte geschickt. [8] 27 Es schließt Fragen wie: »Du solltest andere ausnutzen, bevor sie dich ausnutzen« und »Ich habe nie ein schlechtes Gewissen, Menschen verletzt zu haben« mit ein. Insgesamt gab es 240 dieser Items. Nun waren es aber
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