Psychopathen
Liste in die Finger bekam, hatten die Persönlichkeitstheoretiker wirklich etwas, womit sie spielen konnten. 19 Cattell, der Synonyme eliminierte und einige zusätzliche, im Rahmen von Laborforschungen gesammelte Begriffe einführte, kam auf eine Anzahl von 171 Wörtern. Dann machte er sich an die Arbeit. Er händigte die Beschreibungen, mit deren Hilfe Bewertungsskalen entwickelt werden sollten, einer Reihe von Probanden aus und stellte ihnen eine erfrischend einfache Aufgabe: ihre Bekannten auf der Basis dieser Beschreibungen zu beurteilen.
Die Analyse ergab eine galaktische Persönlichkeitsstruktur, die aus 35 größeren Merkmalsclustern bestand und von Cattell etwas esoterisch anmutend als »Persönlichkeitssphäre« bezeichnet wurde. Im Verlauf des nächsten Jahrzehnts reduzierte ermithilfe von Computern der ersten Generation und der Faktorenanalyse [6] sein Modell auf nur sechzehn Hauptfaktoren. Dabei ließ Cattell es dann bewenden.
Tabelle 2.1. – Cattells sechzehn primäre Persönlichkeitsfaktoren (nach Kurt A. Schneewind, G. Schröder und R. B. Cattell, Der 16-Persönlichkeitsfaktorentest (16 PF), Bern 1994)
Zur Freude von Arbeitspsychologen und heute im Bereich Humanressourcen Tätigen gaben sich nachfolgende Theoretiker jedoch nicht damit zufrieden. 1961 gelang es Ernest Tupes und Raymond Christal, Forschern der US Air Force, aus Cattells Merkmalen fünf wiederkehrende Faktoren herauszukristallisieren: Überschwänglichkeit, Verträglichkeit, Verlässlichkeit, emotionale Stabilität und Kultiviertheit. 20 In den letzten zwanzig Jahren hat schließlich die Arbeit von Paul Costa und Robert McCrae am National Institute of Health in den USA zur Entwicklung eines NEO Personality Inventory genannten standardisierten Tests geführt. 21
Psychologen halten normalerweise nichts von Konsens. 22 Doch in diesem Fall lässt er sich nur schwer vermeiden. Offenheit für Erfahrung, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus bilden die Genome der menschlichen Persönlichkeit. Und wir alle sind die Summe unserer Teile. Wir sind keine Nummern, auch wenn Patrick McGoohan uns dies im Film ›Nummer 6‹ glauben machen wollte. Wir sind eher eine Konstellation von Nummern. Jeder von uns hat in dem unendlichen algorithmischen Firmament des Persönlichkeitsalls seine eigenen unverwechselbaren Koordinaten, je nachdem, wie wir bei jeder dieser fünf Dimensionen abschneiden. [7] Den »Big Five«, wie sie gewöhnlich genannt werden. 23
Die »Big Five«
Für den oberflächlichen Betrachter stellt sich die Persönlichkeit natürlich als etwas Zusammenhängendes, Einheitliches dar. Erst, wenn sie einer genauen mathematischen Prüfung unterzogen wird, zerfällt sie in ihre fünf Bestandteile. Die BigFive entsprechen, so könnte man sagen, den psychologischen »Primärfarben« der Persönlichkeit, mit völlig gegensätzlichen Charaktereigenschaften an beiden Enden: ein Spektrum der Identität, in dem wir uns alle wiederfinden.
In Tabelle 2.2 sind diese Charaktereigenschaften zusammen mit einer kurzen Beschreibung der jeweils mit ihnen verbundenen Attribute aufgeführt:
Tabelle 2.2. Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit (nach McCrae & Costa, 1999, 1990)
Es überrascht vielleicht nicht, dass Arbeitspsychologen großen Nutzen aus dem NEO (und ähnlichen Big-Five-Persönlichkeitstests) gezogen haben. Sie haben diesen Test Arbeitnehmern in praktisch jeder nur erdenklichen Berufssparte ausgehändigt, um die genaue Beziehung zwischen Psyche und Erfolg am Arbeitsplatz zu ergründen. Dabei sind sie auf eine auffällige Verbindung zwischen Temperament und ausgeübterTätigkeit gestoßen. 24 Zwischen unserer Art zu ticken und unserem Beruf.
Offenheit für Erfahrung hat sich in solchen Berufen als wichtig erwiesen, in denen originelle Gedanken oder emotionale Intelligenz das Gebot der Stunde sind – in Beratungsunternehmen, bei Schiedsverfahren oder in Werbeagenturen –, während Menschen, die in dieser Dimension schlechter abschneiden, in der Regel besser in mechanischen Jobs oder in der Fertigung zurechtkommen. Arbeitnehmer, die in puncto Gewissenhaftigkeit eine mittlere bis hohe Punktzahl erzielen (ist sie zu hoch, überschreitet man die Grenze zu Obsession, Zwanghaftigkeit und Perfektionismus), scheinen sich in jeder Beziehung hervorzutun; das Gegenteil gilt für Arbeitnehmer mit einer niedrigeren Punktzahl in dieser Dimension. Extrovertierte Menschen sind erfolgreich in Berufen, die soziale Interaktion
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