Psychopathen
als adaptiv erweisen könnte.
Wir werden uns eingehend mit den Vorteilen befassen, die es hat, wenn man ein Psychopath ist – oder, um genauer zu sein, wenn zumindest in einigen Situationen die Regler ein bisschen höher eingestellt sind als bei anderen Menschen. Wir werden die Furchtlosigkeit betrachten. Die Skrupellosigkeit. Die »Präsenz« (Psychopathen blinzeln in der Regel ein bisschen seltener als der Rest von uns, eine physiologische Abweichung, die ihnen oft diese nervtötende, hypnotische Ausstrahlung verleiht). [5] Umwerfend, verwirrend und unglaublich selbstsicher lauten die Attribute, die ihnen oft zugeschrieben werden. Sie sagen das nicht selbst von sich, wie man erwarten könnte, sondern das sagen ihre Opfer. Die Ironie ist unverkennbar. Psychopathenscheinen aufgrund irgendeines darwinistischen Narrenstreichs genau die Persönlichkeitsmerkmale zu besitzen, für die viele von uns ihr Leben geben würden. Für die tatsächlich viele gestorben sind – aus denselben Gründen natürlich, deretwegen unser alter Freund Rossi es nicht wirklich glauben konnte, dass in dem Kriechkeller irgendetwas Gutes zu finden sei.
Wir werden hinter die Kulissen einer der berühmtesten Psychopathenabteilungen der Welt schauen und die Probleme, Dilemmata und Herausforderungen, denen wir uns alle in unserem Alltag gegenübersehen, aus der Perspektive von Psychopathen betrachten. Wir werden dem Neurowissenschaftler und Psychopathenjäger Kent Kiehl folgen, während er mit einem Truck, in dem sich ein speziell angefertigter Magnetresonanztomograph befindet, Amerikas Strafanstalten abklappert.
Und in einem bahnbrechenden, einmaligen Experiment wird schließlich bei mir selbst ein »psychopathisches Umstyling« vorgenommen. Ein weltberühmter Experte in transkranieller (d. i. durch den Schädel hindurch) Magnetstimulation wird mithilfe einer nichtinvasiven Neurochirurgie den Gehirnzustand eines Psychopathen in meinem
eigenen
Kopf erzeugen (wovon jetzt aber nichts mehr zu merken ist).
Während sich die Weisheit der Psychopathen entfaltet, wird uns die Wahrheit wie ein Raubtier auf den Leib rücken. Klar, diese Typen könnten uns stechen. Aber sie könnten auch unser Leben retten. So oder so können wir einiges von ihnen lernen.
2 Echte Psychopathen bitte vortreten!
Wer könnte wohl in einem Regenbogen genau die Linie
angeben, wo das Violett aufhört und das Orange beginnt?
Wir sehen zwar deutlich die verschiedenen Farben,
aber nicht den genauen Ort, wo die eine in die
andere übergeht. So ist es auch mit Vernunft und Wahnsinn.
Herman Melville,
Billy Budd und andere Geschichten
Persönlichkeit
Im Internet kursiert folgende Story: Während des Begräbnisses ihrer Mutter begegnet eine Frau einem Mann, den sie nie zuvor gesehen hat, und fühlt sich auf geheimnisvolle Weise zu ihm hingezogen. Sie glaubt, in ihm einen Seelenverwandten gefunden zu haben, und verfällt ihm sofort. Doch sie fragt ihn nicht nach seiner Telefonnummer und kann ihn, als die Beerdigung vorbei ist, nicht ausfindig machen. Wenige Tage später tötet sie ihre Schwester. Warum?
Nehmen Sie sich ein wenig Zeit, bevor Sie antworten. Denn offensichtlich lässt sich mithilfe dieses einfachen Tests feststellen, ob Sie wie ein Psychopath denken oder nicht. Welches Motiv könnte die Frau wohl haben, ihre Schwester umzubringen? Eifersucht? Findet sie ihre Schwester später mit dem Mann im Bett? Rache? Beides plausibel. Aber falsch. Die Antwort – gesetzt den Fall, Sie denken wie ein Psychopath – lautet: Weil sie hofft, der Mann würde bei der Beerdigung ihrer
Schwester
erneut auftauchen.
Falls dies Ihre Lösung war ... keine Panik! Um ehrlich zu sein, ich habe gelogen. Natürlich bedeutet es nicht, dass Sie wie ein Psychopath denken. Wie vieles, auf das man im Internet stößt, enthält diese Geschichte etwa so viel Wahrheit wie BernieMadoffs Gewinn- und Verlustrechnung. Dass die Strategie der Frau dem Anschein nach psychopathisch ist, lässt sich natürlich nicht bestreiten: kalt, skrupellos, emotionslos und kurzsichtig eigennützig. Doch raten Sie mal, was passierte, als ich diesen Test einigen echten Psychopathen vorlegte – Vergewaltigern, Mördern, Pädophilen und bewaffneten Räubern –, die man mithilfe standardisierter klinischer Verfahren als solche diagnostiziert hatte: Nicht einer von ihnen wartete mit dem Motiv der »Folge-Beerdigung« auf. Vielmehr nannten fast alle die »romantische Rivalität« als Begründung.
»Ich mag ja verrückt
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