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Psychopathen

Psychopathen

Titel: Psychopathen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Dutton
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Geschwindigkeit ist extrem wichtig. In einem kurzen Moment kann man eine Menge zustande bringen: eine Luftröhre durchtrennen, eine Halsader herausreißen, das Rückenmark durchbohren, Milz und Leber durchstechen. Wenn sich die Gelegenheit bietet, muss man wissen, was man zu tun hat.
    Eine solche Strategie kann, wie mir Barry, ein ehemaliges Mitglied der Bruderschaft, erläuterte, in den undurchschaubaren und von Furcht verdunkelten moralischen Winkeln einer staatlichen Strafanstalt tatsächlich als adaptiv interpretiert werden – als
feuer bekämpfend
statt
feuer entfachend
. Man kann damit langfristig Probleme in Schach halten, statt sie zu schüren. »Ein Gefängnis«, erläuterte Barry, »ist eine feindliche Umgebung. Dort herrschen andere Regeln als in der Außenwelt. Es ist eine Gemeinschaft innerhalb einer Gemeinschaft. Wenn du nicht Farbe bekennst, können sie jederzeit gegen dich vorgehen. Also musst du etwas dagegen unternehmen. Du musst nicht ständig jemanden umbringen. So funktioniert das nicht. Ein- oder zweimal reicht gewöhnlich. Du tust es ein- oder zweimal, und schon bald spricht es sich rum: Leg dich nicht mit diesem Typen an. Was ich sagen will: Vorsorge ist besser als Nachsorge.
Carpe noctem

    Das ist ein interessanter Standpunkt in Sachen Konfliktlösung. Auf etwas Ähnliches läuft die, wenn auch knapper formulierte, Aussage des inhaftierten Musikproduzenten Phil Spector hinaus. »Besser man hat eine Waffe und benutzt sie nicht, als man braucht eine Waffe und hat sie nicht« hat er erklärt. (Es sei dahingestellt, ob er das heute immer noch glaubt.) Einen differenzierteren Standpunkt nimmt Sun Tsu ein, der chinesische Militärstratege des sechsten Jahrhunderts v. Chr.: »Den Feindzu bezwingen, ohne zu kämpfen«, schrieb er, »ist die größte Kunst« 57 – eine Kunst, die sich, wie wir eben bei Jim und Buzz gesehen haben, nur schwer vortäuschen lässt und die zweifelsfrei in Selbstvertrauen wurzelt. Da geht es nicht um ein falsches Selbstvertrauen, das auf Maulheldentum gründet. Sondern um ein echtes Selbstvertrauen, das auf Überzeugung basiert.
    Dean Petersen, ehemaliger Soldat einer Sondereinsatztruppe und heutiger Kampfsportausbilder, sagt: »Wenn man sich in einer feindlichen Umgebung befindet, ist es manchmal am besten, dieselben aggressiven Absichten zu demonstrieren wie die potenziell gewalttätigen Individuen. Und dann noch einen Schritt weiterzugehen. Mit anderen Worten, den Einsatz zu erhöhen, um eine Poker-Analogie zu verwenden. Erst wenn man die psychologische Überlegenheit gewonnen hat, ihnen gezeigt ... angedeutet hat ... wer der Boss ist, kann man damit anfangen, sie zum Schweigen zu bringen.«
    Wie könnte man die eigene Autorität besser behaupten, als wenn man potenzielle Herausforderer davon überzeugt, dass sie geschlagen sind, noch bevor sie überhaupt in die Startlöcher gekommen sind?
    Barrys Argumentation hat noch weitere Implikationen für die Auswahl an psychopathischen Merkmalen. Es geht nicht nur um Skrupellosigkeit, sondern auch um Furchtlosigkeit und oberflächlichen Charme. Kampf, so zeigt sich, ist nicht die einzige Möglichkeit, in der irdischen Welt Herrschaft zu begründen. In den Tagen unserer Vorfahren war das Überleben, ähnlich wie im Gefängnis, nicht einfach. Obwohl die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von entscheidender Bedeutung war, genossen auch die Risikobereiten ein erstaunlich hohes Ansehen in den Gemeinschaften.
    Eine ähnliche Dynamik lässt sich heute noch bei Affen beobachten. 58 Schimpansen sind unsere engsten lebenden Verwandten, mit denen wir 96 Prozent unserer DNA gemein haben. Männliche Schimpansen konkurrieren untereinander mittels »Großzügigkeit«: mittels freiwilligem Altruismusgegenüber Untergebenen. Diese Großzügigkeit äußert sich darin, dass sie sich Gefahren aussetzen, um die Truppe mit Nahrungsmitteln zu versorgen, dass sie die eigene Beute mildtätig verteilen und die Beute anderer zum Zweck der Umverteilung konfiszieren. »... statt dass Dominante durch das auffallen, was sie sich nehmen, festigen sie jetzt ihre Position mittels dessen, was sie geben«, schreibt der Primatenforscher Frans de Waal. 59
    Ebenso interessant sind jene Primaten, die miteinander durch »Dienst an der Öffentlichkeit« oder durch »Führerschaft« um Ansehen kämpfen – indem sie die Kooperation innerhalb der Gruppe erleichtern. Oder, wenn Sie so wollen, durch Charisma, Überzeugungskraft und Charme. Dominante Schimpansen, Makaken

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