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Psychopathen

Psychopathen

Titel: Psychopathen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Dutton
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anderer im Forum konform.
    Natürlich gibt es auch Zeiten, in denen das Gegenteil zutrifft, Zeiten, in denen die Fähigkeit, sich von sozialen Konventionen zu lösen und nicht gruppenkonform zu denken, lebensrettend sein kann. Sowohl sprichwörtlich als auch im übertragenen Sinn. 1952 prägte der Soziologe William H. Whyte den Begriff »Gruppendenken« (
groupthink
). Damit wollte er den Mechanismus fassbar machen, der bewirkt, dass eng verbundene, von äußeren Einflüssen abgeschnittene Gruppen sehr schnell normativ »korrekte« Standpunkte einnehmen. Gleichzeitig werden sie immun gegen Kritik, kümmern sich nicht um Opposition von außen und reagieren allergisch auf Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Gruppe. Die Überzeugung von der eigenen Unfehlbarkeit wächst. Der Psychologe Irving Janis, der einen Großteil der empirischen Arbeit zu diesem Phänomen geleistet hat, beschreibt den Prozess so: »Eine Art zu denken, die Menschen annehmen, wenn sie eng in eine geschlossene Ingroup eingebunden sind und das Streben der Gruppenmitglieder nach Einmütigkeit stärker ist als ihre Motivation, alternative Vorgehensweisen realistisch zu beurteilen.« 54
    Das trägt nicht gerade zu einer optimalen Entscheidungsfindung bei.
    Ein typisches Beispiel hierfür ist das Challenger-Fiasko 1986. Der Druck, den Start der Raumfähre endlich zuwege zu bringen, war beträchtlich. Damals dachte der amerikanische Kongress, durch die Förderung des Weltraumprogramms würden Einnahmen in die Staatskasse fließen, und durch eine Reihe von Problemen hatte sich der Start bereits verzögert. Die Wissenschaftler und Ingenieure der NASA schienen völlig immun gegen die Bedenken zu sein, die einer ihrer Mitarbeiter nur 24 Stunden vor dem Start in Zusammenhang mit den O-Ringen an den Starthilfsraketen artikulierte. Obwohl dieses Problem in einer Reihe von Telefonkonferenzen ausführlich diskutiert worden war, traf man die im Nachhinein unbegreifliche Entscheidung, weiterzumachen. Die Show musste unbedingt stattfinden.
    Was sich als verhängnisvoll erwies. Im Nachhinein zeigte sich, dass es abgesehen von den O-Ringen einen weit heimtückischeren Übeltäter gab, einen alles erstickenden, dumpfen psychologischen. Der damalige Präsident Ronald Reagan hatte eine Untersuchungskommission eingesetzt, die Rogers Commission. Sie bestätigte, was Sozialpsychologen überall auf der Welt insgeheim befürchtet hatten: Die Organisationskultur und die Entscheidungsfindungsprozesse der NASA hatten im Vorfeld der Tragödie eine bedeutende Rolle gespielt. Der Druck, sich anzupassen, Warnungen, die in den Wind geschlagen wurden, das Gefühl der Unverwundbarkeit – es war alles da, unübersehbar. [15]
    Ein solches Verhalten, ein »Gruppendenken«, ist im Menschenangelegt. Wie sieht es aber nun mit der Fähigkeit aus, für sich alleine zu stehen, nach den eigenen Regeln zu spielen, außerhalb des sicheren normativen gesellschaftlichen Rahmens? Ist diese Fähigkeit ebenfalls in uns angelegt? Es gibt Hinweise darauf. Es sieht ganz so aus, als ob sich mitten unter uns eine solch unerschrockene Minderheit herausgebildet hat, die sich durch nichts beunruhigen lässt.
Die Mathematik des Wahnsinns
    Es ist eine interessante Frage, wie die Psychopathie es geschafft hat, im Genpool Fuß zu fassen. Immer schon haben schätzungsweise ein bis zwei Prozent der Bevölkerung als Psychopathen gegolten. Wenn aber ein Mensch dadurch so schlecht angepasst ist, wenn diese »Störung« so maladaptiv ist, wie konnte sie sich dann durch die Zeiten hindurch überhaupt halten? Andrew Colman, Professor für Psychologie an der University of Leicester, hat hierauf eine gleichermaßen interessante Antwort 55 – eine, die sich mir wahrscheinlich für immer eingeprägt hat, nachdem ich mich neulich mal am Autobahnkreuz Newark Airport total verfranst habe.
    1955 kam der Film ›... denn sie wissen nicht, was sie tun‹ in die Kinos. Nie zuvor war eine rebellische unverstandene Jugend so einfühlsam auf der Leinwand dargestellt worden. Zumindest in den Augen von Spieltheoretikern sticht eine Szene hervor, in der Jim Stark (gespielt von James Dean) und Buzz Gunderson (gespielt von Corey Allen) bei einer tödlichen Mutprobe in gestohlenen Autos unaufhaltsam auf eine Klippe zurasen.
    Lasst uns, sagt Colman, die Szene einen Moment lang aus Sicht der Fahrer betrachten. Oder stellen wir uns noch besser vor, dass die beiden Protagonisten aufeinander zurasen und jeden Moment frontal zusammenstoßen

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