Psychopathen
hinaus, und dafür gibt es auch, wie sich zeigen wird, vernünftige biologische Gründe.
Schuldig oder nicht schuldig
Von der Spieltheorie war bereits die Rede. Sie widmet sich dem Studium strategischer Situationen, der Wahl optimaler Verhaltensstrategien unter Umständen, in denen Kosten und Nutzen einer bestimmten Entscheidung nicht in Stein gemeißelt, sondern variabel sind, und präsentiert ihrem Wesen nach dynamische Szenarien. Angesichts der Tatsache, dass der Schwerpunkt auf der Beziehung zwischen individueller Handlungsfähigkeit und der größeren sozialen Gruppe liegt, ist es kein Wunder, dass sie häufig auch in anderen Wissenschaftsbereichen Anwendung findet – im Rahmen von Modellen und Theorien zur natürlichen Auslese und zur möglichen Art der Entwicklung verschiedener Verhaltensweisen oder Lebensstrategien. Die Psychopathie bildet hier keine Ausnahme, wie die Arbeit von Andrew Colman gezeigt hat.
Wir machen mit der Erforschung der evolutionären Dynamik der psychopathischen Persönlichkeit dort weiter, wo Colman aufgehört hat, und improvisieren eine Situation ähnlich wie die, in der Jim und Buzz sich an der Klippe befanden. Aber wir gestalten sie noch ein bisschen persönlicher. Stellen Sie sich vor, Sie und ein Komplize werden verdächtigt, ein schweres Verbrechen begangen zu haben. Sie werden festgenommen und zum Verhör aufs Revier gebracht. Der Ermittlungsbeamte hat aber nicht genügend Beweise, um Anklage zu erheben. Also greift er zu der uralten Taktik, Sie beide gegeneinander auszuspielen. Sie werden getrennt verhört und er schlägt Ihnen ein Geschäft vor: Wenn Sie ein Geständnis ablegen, wird er dieses als Beweis gegen Ihren Komplizen verwenden und der wird zu einer zehnjährigen Gefängnisstrafe verdonnert. Die Anklage gegen Sie wird hingegen fallen gelassen, und Sie dürfen gehen, ohne dass weitere Schritte eingeleitet werden.
Zu schön, um wahr zu sein? Ja, das ist es. Denn die Sache hat einen Haken.
Der Ermittler informiert Sie darüber, dass er Ihrem Partner dasselbe Angebot machen wird.
Dann lässt er Sie allein, damit Sie darüber nachdenken können. Da schießt es Ihnen plötzlich durch den Kopf: Was, wenn wir beide ein Geständnis ablegen? Was passiert dann? Gehen wir beide für zehn Jahre ins Gefängnis? Oder kommen wir beide ungeschoren davon? Als Sie diese Fragen später dem Beamten stellen, lächelt er. Sollten Sie beide geständig sein, antwortet er, werden Sie auch beide im Gefängnis landen, aber nur für jeweils fünf Jahre. Und wenn keiner von Ihnen ein Geständnis ablegt? Ebenfalls Gefängnis, doch in diesem Fall nur für ein Jahr.
Tabelle 3.2. Das Gefangenendilemma
Der Beamte ist gerissen. Im Grunde hat er Ihnen ein Angebot gemacht, das Sie nicht ablehnen können. Es ist ganz einfach. Wie auch immer Ihr Komplize sich entscheiden mag,
Sie
sind in jedem Fall besser dran, wenn Sie gestehen. Wenn Ihr Partner beschließt, den Mund zu halten, blüht Ihnen entweder ein Jahr Knast, weil Sie dasselbe tun, oder Sie reiten frei gen Westen, weil Sie ihn verpfiffen haben und er Sie nicht. Entscheidet sich Ihr Partner dafür, Sie zu verpfeifen, sitzen Sie, wenn Sie selbst schweigen, die volle Zeit ab, aber wenn Sie sich genauso verhalten wie er, halbieren Sie die Strafe. Logisch betrachtet ist die einzig vernünftige Vorgehensweise die, ein Geständnis abzulegen. Und doch beraubt diese lähmende Logik Sie beide der Möglichkeit, Ihre Strafe durch Schweigen zu minimieren. Ein paradoxes Dilemma.
Um die Frage der Redlichkeit – zu schweigen, weil es das»Richtige« ist – geht es dabei nicht, das werden Sie bemerkt haben. Es ist ohnehin ein zweifelhafter moralischer Wert, sich selbst in eine Lage zu bringen, die so leicht ausgenutzt werden kann. Aber der ganze Zweck des Gefangenendilemmas besteht darin, optimale Verhaltensstrategien zu ermitteln, und zwar nicht im Bezugssystem der Moral mit philosophischen Schlägertypen als Türstehern, sondern innerhalb eines psychologischen Vakuums mit null moralischer Schwerkraft ... woraus die irdische Welt ja im Allgemeinen besteht. 63
Könnten die Psychopathen also recht haben? Geht es da draußen tatsächlich um das Überleben des Bestangepassten? Eine solche Strategie ist allem Anschein nach logisch. Man ist nicht imstande zu kommunizieren und tut einfach, was logisch ist. Bei dem Gefangenendilemma handelt es sich um eine einmalige Begegnung, ein einmaliges Ereignis, und eine Strategie der Defektion, der Ablehnung von Kooperation
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