Psychopathen
mit dem Partner, ist eindeutig am vielversprechendsten, ein Gewinnblatt. Warum es dann nicht ausspielen?
Aus einem ganz einfachen Grund. Im Leben mit seiner unendlichen Komplexität geht es nicht um einmalige Ereignisse. Wäre das der Fall und wäre die Summe der menschlichen Existenz eine endlose Folge von nachts aneinander vorbeifahrenden Schiffen, dann hätten die Psychopathen unter uns tatsächlich Recht. Und würden sehr schnell in den Besitz der Erde gelangen.
Aber das werden sie nicht. Denn so ist das Leben nicht.
Stattdessen ist der Bildschirm des Lebens dicht bevölkert mit Abermillionen einzelner Pixel, deren ständige Interaktion, deren Beziehungen untereinander erst das große Bild entstehen lassen. 64 Wir haben eine Geschichte – eine Sozialgeschichte – miteinander. Und wir sind im Unterschied zu den Protagonisten im Gefangenendilemma im Stande, zu kommunizieren.
Was dort einen gewaltigen Unterschied gemacht hätte!
So weit, so gut. Wenn wir das Gefangenendilemma aber einmalspielen, dann können wir es auch mehrmals spielen. Immer wieder. Wir ersetzen die Haftstrafe durch ein System von Belohnung und Bestrafung, bei dem Punkte gewonnen oder verloren werden (siehe Tabelle 3.3). Dann können wir mithilfe von ein bisschen einfacher Mathematik die Komplexität des realen Lebens simulieren, und zwar auf genau dieselbe Weise, wie wir es im Fall von Jim und Buzz getan haben.
Tabelle 3.3. Ein Beispiel für das Gefangenendilemma
Was passiert dann? Bringen es die Psychopathen in einer Welt der wiederholten Begegnungen? Oder wird ihre Strategie, ihr Gewinnblatt, durch die einfache »Sicherheit der Menge« ausgestochen?
Heilige gegen Gauner
Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, wollen wir uns eine Gesellschaft vorstellen, die sich ein wenig von der unterscheidet, in der wir derzeit leben: eine historische Situation, in der die Arbeiter am Ende der Woche ihren Lohn in Lohntüten erhalten. Stellen Sie sich nun vor, es wäre möglich, diese Arbeiterschaft in zwei unterschiedliche Menschentypen einzuteilen. Die Mitglieder der ersten Gruppe sind ehrlich und fleißig und arbeiten die ganze Woche über hart. Wir wollen sie die
Heiligen
nennen. Die Mitglieder der anderen Gruppe sind unehrlich und faul und nehmen ihre fleißigen Kollegen aus, wenn diese sich am Freitag auf den Heimweg machen. Sie lauern ihnen vorden Fabriktoren auf und eignen sich ihren schwer verdienten Lohn an. Wir wollen sie die
Gauner
nennen. [18]
Zunächst hat es den Anschein, als hätten die Gauner ausgesorgt, als würden Verbrechen sich lohnen. Und tatsächlich tun sie das auf kurze Sicht auch. Die Heiligen malochen weiter, damit die Gemeinschaft funktioniert, während die Gauner in doppelter Hinsicht die Früchte ernten. Sie genießen nicht nur die Vorteile, in einer gedeihenden Gesellschaft zu leben, sie werden, indem sie die Löhne der Heiligen stehlen, auch fürs »Nichtstun« bezahlt.
Eine angenehme Arbeit, oder?
Doch was geschieht, wenn dieses Verhaltensmuster andauert? Die Heiligen werden irgendwann müde und krank. Da ihnen weniger Einkommen zur Verfügung steht, um für sich zu sorgen, fangen sie an, auszusterben. Nach und nach sinkt der Anteil der »arbeitenden« Bevölkerung zugunsten der Gauner.
Das ist natürlich genau das, was die Gauner
nicht
wollen! Wenn sich die Zahl der Heiligen Woche für Woche verringert, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Gauner auf einen anderen Gauner treffen. Und wenn sie auf einen Heiligen stoßen,ist womöglich nichts mehr zu holen. Einer ihrer Kollegen ist ihnen vielleicht schon zuvorgekommen.
Schließlich kommen wir, wenn wir den Dingen ihren natürlichen Lauf lassen, in puncto Machtverhältnisse wieder zum Ausgangspunkt. Das Pendel schlägt zugunsten der Heiligen aus und die Gesellschaft kehrt dazu zurück, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen. Wie man sieht, ist der Lauf der Geschichte darauf angelegt, sich zu wiederholen. Die Heiligen haben nur so lange das Sagen, wie die Wirtschaft sich in einer Rezession befindet. Und die Gauner sind nur so lange obenauf, wie die Heiligen sie über Wasser halten. Es ist ein düsterer Kreislauf von Auf- und Abschwung.
Diese kurze Beschreibung zweier sehr unterschiedlicher Arten von Arbeitsmoral ist eine, gelinde gesagt, vereinfachte Darstellung einer unendlich vielschichtigeren Dynamik. Doch es ist genau diese Vereinfachung, diese Polarisierung von Verhaltensweisen, die einem solchen Modell seine Ausdruckskraft verleiht.
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