Psychose: Thriller (German Edition)
nicht einmal Farbreste zurückgeblieben waren. Die Bretter waren von der Sonne weiß gebleicht worden und schienen sich kurz vor der Auflösung zu befinden. Auch das Glas der Fensterscheiben war lange verschwunden.
Er zog den Zettel vom vorherigen Abend aus der Tasche und überprüfte die Adresse. Die Handschrift war deutlich:
604 1st Ave
, aber vielleicht hatte Beverly die Zahlen vertauscht oder »Ave« anstelle von »St.« geschrieben.
Ethan bahnte sich einen Weg durch das hüfthohe Unkraut, das den Vorgarten überwucherte und durch das man nur an wenigen Stellen noch den Steinweg am Boden erkennen konnte.
Die beiden Stufen zur Veranda sahen äußerst mitgenommen aus. Er ging nach oben, und als er die Holzdielen betrat, wurde er von einem ohrenbetäubenden Knarren begrüßt.
»Beverly?«
Das Haus schien seine Stimme zu verschlucken.
Vorsichtig überquerte er die Veranda, ging durch den Eingang, in dem schon lange keine Tür mehr zu hängen schien, und rief erneut ihren Namen. Er hörte, wie der Wind um das Haus wehte und dessen Holzgerüst knarzte. Drei Schritte ins Wohnzimmer, dann blieb er stehen. Auf dem Boden lagen verrostete Springfedern im zerfallenden Rahmen eines uralten Sofas. Davor stand ein mit Spinnweben überzogener Couchtisch, darunter lagen einige Magazine, die feucht geworden waren und vor sich hin moderten.
Beverly konnte unmöglich gewollt haben, dass er hierherkam – nicht mal, wenn es als Witz gemeint war. Sie musste versehentlich eine falsche Adresse …
Dann roch er es und hob den Kopf. Vorsichtig machte er einen Schritt nach vorn und wich drei Nägeln aus, die aus einer Bodendiele herausragten.
Er schnüffelte erneut.
Eine weitere Woge wehte an ihm vorbei, als der Wind das Haus zum Wackeln brachte, und er vergrub die Nase augenblicklich in der Armbeuge. Er ging weiter, an einer eingestürzten Treppe vorbei, in einen schmalen Flur, der die Küche mit dem Esszimmer verband. Der Raum wurde durch ein Loch in der Decke erhellt, wo das Dach auf den Esstisch gestürzt war.
Durch ein Minenfeld aus kaputten Brettern und großen Löchern, die im Boden klafften, ging er weiter.
Der Kühlschrank, das Waschbecken, der Herd – alle Metalloberflächen waren komplett verrostet und sahen beinahe aus, als wären sie von Pilzen befallen. Dieser Ort erinnerte ihn an diealten Häuser, die seine Freunde und er früher bei ihren Erkundungstouren im Sommer im Wald hinter ihren Farmen entdeckt hatten. Verlassene Scheunen und Hütten mit derart durchlöcherten Dächern, dass die Sonne hineinscheinen konnte. Einmal hatte er eine fünfzig Jahre alte Zeitung in einem alten Schreibtisch gefunden, in der über die Wahl eines neuen Präsidenten berichtet wurde, und sie mit nach Hause nehmen wollen, um sie seinen Eltern zu zeigen, doch das Papier war so brüchig geworden, dass sie in seinen Händen zu Staub zerfallen war.
Ethan hatte es seit mehr als einer Minute nicht mehr gewagt, durch die Nase zu atmen, und trotzdem wusste er, dass der Gestank intensiver wurde. Er hätte schwören können, ihn in den Mundwinkeln zu schmecken, und die Intensität dieses Geruchs, die schlimmer war als Ammoniak, bewirkte, dass seine Augen zu tränen begannen.
Das andere Ende des Flurs lag im Dunkeln, da sich darüber noch ein großer Teil des Dachs befand, von dem der letzte Regen heruntertropfte, wann immer dieser auch gefallen sein mochte.
Die Tür am Ende des Flurs war geschlossen.
Ethan blinzelte, um die Tränen aus den Augen zu bekommen, und griff nach dem Türknauf, aber es war keiner mehr da.
Er stieß die Tür mit dem Schuh auf.
Sie quietschte.
Die Tür prallte gegen die Wand und Ethan machte einen Schritt auf die Türschwelle zu.
Wie bei seiner Erinnerung an die alten Häuser drang auch hier das Licht durch Löcher in der Rückwand und schimmerte auf den zahlreichen Spinnweben, bevor es auf das einzige Möbelstück im Raum fiel.
Der Metallrahmen stand noch und durch die aufgeweichten Reste der Matratze konnte er die wie Schlangenköpfe aufragenden Bettfedern erkennen.
Er hatte die Fliegen bisher noch nicht gehört, da sie sich im Mund des Mannes gesammelt hatten – es waren unzählige, und ihr Summen klang fast wie ein kleiner Außenbordmotor.
Er hatte im Kampf schon Schlimmeres gesehen, aber noch nie etwas Ekligeres gerochen.
Überall waren weiße Stellen zu sehen. An den Handgelenken und den Fußknöcheln hatte man ihn mit Handschellen an das eiserne Bettgestell gefesselt. An der Stelle, an der
Weitere Kostenlose Bücher