Psychose: Thriller (German Edition)
sich noch ein oder zwei Meilen weiter nach oben und die Klippen waren mit zackigen Spitzen und schartigen Vorsprüngen übersät.
In fünfzehn Metern Entfernung sah Ethan, woher das Summen kam: von einem sechs Meter hohen, mit Stacheldraht gekrönten Zaun, der sich an der engsten Stelle der Schlucht über die gesamte Breite spannte. Auf dem Schild am Zaun stand:
HOCHSPANNUNG
LEBENSGEFAHR
und
KEHREN SIE NACH WAYWARD PINES ZURÜCK
WENN SIE WEITERGEHEN, WERDEN SIE STERBEN
Ethan blieb einen Meter vor der Barrikade stehen und musterte sie: Der Zaun bestand aus rechteckigen Drahtgebilden mit etwa zehn Zentimetern Seitenlänge. Aus der Nähe klang das Summen sogar noch unheilvoller und verlieh dem Zaun eine authentische, einschüchternde Aura.
Dann stieg Ethan Verwesungsgeruch in die Nase und es dauerte nur einen Moment, bis er die Ursache dafür entdeckt hatte.Ein großes Säugetier, vermutlich ein Murmeltier, hatte den Fehler begangen, unter dem Zaun durchkriechen zu wollen. Es sah aus, als wäre es zwischen den Drähten acht Stunden lang einer Mikrowellenstrahlung ausgesetzt gewesen. Pechschwarz verkohlt. Ein Vogel, der offenbar auf eine leichte Mahlzeit gehofft hatte, war auf den Überresten des Tiers gelandet und hatte dasselbe Schicksal erlitten.
Ethan sah an den Wänden der Schlucht nach oben.
Sie waren steil, doch er konnte vor allem auf der rechten Seite einige Stellen entdecken, an denen sich jemand, der ebenso motiviert wie entschlossen war, festhalten konnte.
Also ging er zur Mauer und begann zu klettern.
Der Stein war nicht überall massiv, und einige der Vorsprünge, an denen er sich festhalten wollte, zerfielen unter seinen Fingern, doch es waren genug vorhanden und sie lagen so dicht beieinander, dass er keinen davon länger als einige Sekunden mit seinem ganzen Gewicht belasten musste.
Schon bald befand er sich acht Meter über dem Boden und hatte ein seltsames, kribbelndes Gefühl im Magen, da der unter Strom stehende Stacheldrahtzaun gerade mal knapp zwei Meter unter seinen Stiefelsohlen summte.
Er balancierte auf einem Vorsprung aus solidem Felsen entlang und gelangte so auf die verbotene Seite des Zauns. Die Höhe machte ihm zu schaffen, aber noch mehr beunruhigte ihn das, was er gerade getan hatte: Er hatte illegal eine Grenze überquert.
Eine lästige warnende Stimme in seinem Hinterkopf sagte ihm, dass er sich gerade bereitwillig in Gefahr gebracht hatte.
Ethan kletterte wieder auf den Boden der Schlucht und ging weiter. Das Summen des unter Strom stehenden Zauns wurde leiser, während sein Körper auf intensivierte und beunruhigende Wachsamkeit schaltete. Dasselbe war ihm auch im Irak passiert – dass seine Sinnesorgane immer auf Hochtouren zu arbeitenschienen, wenn eine Mission den Bach runterging. Seine Handflächen wurden feucht, sein Herz schlug schneller und er konnte auf einmal deutlich besser hören, riechen und schmecken. Er hatte es noch nie irgendjemandem erzählt, dass er in Falludschah bereits fünf Sekunden, bevor die Rakete eingeschlagen war, gewusst hatte, dass sie den Hubschrauber verlieren würden.
Jenseits des Zauns wirkte das Gelände noch einsamer und die Felsen waren gespalten und von Blitzen vernarbt.
Der Himmel war leer.
Die fehlenden Wolken unterstrichen das Gefühl völliger Trostlosigkeit nur noch mehr.
Nach der Zeit in Wayward Pines kam es ihm fast surreal vor, so alleine, so weit von anderen Menschen entfernt zu sein. Aber in seinem Kopf machte sich eine andere Sorge breit, die an ihm nagte. Die Schlucht schien sich noch mehrere Hundert Meter zu einem hohen, vom Wind umtosten Kamm fortzusetzen. Wenn er genug Kraft hatte, konnte er diesen bis zum Anbruch der Dämmerung erreichen. Um dann eine weitere lange kalte Nacht zu versuchen, auf dem Steinboden Schlaf zu finden. Und was dann? Es würde nicht mehr lange dauern, bis er nichts mehr zu essen hatte, und obwohl das Wasser, das er getrunken hatte, bevor der Fluss versiegt war, seinen Magen noch aufblähte, würde sein Körper aufgrund der Anstrengung bald nach mehr verlangen.
Doch noch viel mehr als vor dem drohenden Hunger und Durst fürchtete er sich vor dem, was hinter dem fernen Abhang an der Spitze der Schlucht wartete.
Er vermutete, dass er eine sich weit ausbreitende Wildnis vor sich haben würde, und obwohl er sich an die Überlebensausbildung seiner Militärzeit erinnerte, war er jetzt schon mehr als angeschlagen und ermattet. Die Aussicht, zu Fuß aus diesen Bergen in die Zivilisation
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