Psychotherapeuten im Visier
herabschauenden Therapeuten zu kommen – baulicher Zufall oder doch inszeniertes Machtinstrument, durch das der Patient zuerst einmal gedemütigt wird? Oder wie soll ein Patient reagieren, wenn ihn der Hausarzt zu einem Therapeuten überweist, der am Küchentisch praktiziert? Was soll er tun, wenn er auf einen Behandler trifft, der es sich vorgenommen hat, möglichst unverwechselbar wie der große Sigmund Freud auszusehen? Haarschnitt, Farbe und Brille sind dem Meister abgeschaut – ist das nun ein Minderwertigkeitskomplex oder einfach nur spleenig? Wenn die Situation für den Patienten nicht so ernst wäre, müsste er in schallendes Gelächter ob dieser absurden Figur ausbrechen, das genau aber kann er nicht, weil dann ja die Suche nach dem nächsten Therapeuten anstünde – wahrscheinlich verbunden mit der nächsten Enttäuschung.
Es mag für den Leser der Eindruck entstehen, ich hätte mir diese Fallgeschichten ausgedacht – ich habe es nicht, könnte aber noch viele weitere anführen, eigene und ebenso
viele von Menschen, die mir von ebendiesen absurden Begegnungen erzählt haben, denen sie ausgesetzt waren. Es stimmt tatsächlich: Die besten Geschichten schreibt das Leben selbst.
Noch einmal: Ich will niemanden aus der Therapeutenzunft anschwärzen, ich will keinen einzigen Patienten verunsichern und pessimistische Schwarzmalerei betreiben. Es geht mir ausschließlich darum, Menschen, die sich einem Therapeuten anvertrauen müssen, zu zeigen, was sie unter Umständen erwartet und dass sie sich immer – immer! – auf die eigenen Instinkte verlassen sollten. Wenn die ihnen sagen, hier stimme doch etwas nicht, dann sollten sie es entweder direkt ansprechen oder einen solchen Therapeuten nicht noch ein zweites Mal aufsuchen. Wiederholen sich diese Begegnungen der dritten Art, dann ist es hohe Zeit, die zuständige Ärztekammer auf das Erlebte hinzuweisen. Resignieren und ein Festhalten an einem solchen Therapeuten bringt einen keinen einzigen Schritt weiter – Behandlungszeit ist Lebenszeit und die verbringt man besser nicht allzu lange mit einem Therapeuten. Therapie kann nur eine Durchgangsstation im eigenen Leben sein, je kürzer, desto besser. Gute Therapeuten beherzigen dieses Credo und werden alles daransetzen, die Leidenszeit eines Depressionskranken so schnell wie möglich zu beenden. Daran müssen die Therapeuten gemessen werden. Behandeln heißt schnell und effektiv heilen zu wollen. Alles andere ist Ausdruck von Inkompetenz, Unerfahrenheit oder gar eines zynischen Narzissmus.
Also: Vorsicht, wenn der Therapeut als Markenzeichen der eigenen Kuriosität verschiedenfarbige Socken trägt oder unterschiedliche Schuhe. Alles, was für einen gesunden Menschen als spleenig durchgehen mag, ist für den geschwächten und verunsicherten Kranken ein weiteres Indiz, sich
selbst infrage stellen zu sollen. Das kann er in seiner Situation am wenigsten ertragen. Kein Therapeut soll sich verbiegen und sich aufführen wie der sprichwörtlich gute, väterliche Chefarzt in einer Soap-Fernsehserie, aber für den Patienten wäre das eine Option, der er sofort zustimmen würde.
Wenn Ärzte und Therapeuten krank machen, missbrauchen sie ihren Status – so mancher Patient ist daran schon zerbrochen. Soll etwa die Botschaft sein: Wer das therapeutische Ritual nicht aushält, der will auch nicht gesund werden?
Wie viele Patienten sich diese Frage schon gestellt haben mögen, wie sie damit umgegangen sind, möchte ich mir gar nicht ausmalen.
Therapeutische Fragwürdigkeiten
Drei Dinge machen mich im therapeutischen Umgang mit der Depression stutzig: eine zu lange Behandlungszeit, die häufig auf nur eine einzige Methode fixierte Therapie oder Therapieschule und die als Gefangenschaft empfundene Situation des Patienten, der nicht von seinem Therapeuten loskommt oder von diesem nicht in die Freiheit der Selbstverantwortung entlassen wird.
Ganz offensichtlich sind diese Themen mit einem Tabu belegt. Man spricht nicht darüber, es gibt nicht den längst überfälligen Protest oder gar Aufschrei aufseiten der überweisenden Hausärzte und natürlich auch nicht bei den Patienten. Letztere verstehe ich nur zu gut, sie sind nicht in der Lage, die nötige Kraft, aber auch die Wut zuzulassen, die am Anfang eines solchen Protestes stehen müsste. Jeder weiß, wie schlecht die therapeutische Versorgungssituation für Patienten, die unter Depressionen leiden, ist, wie wenig gute Therapeuten es gibt, wie lang die Wartezeiten für
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