Psychotherapeuten im Visier
darüber zu berichten. Zwingen? Ja, wer soll es denn sonst tun, wer hat denn schon wirklich Einblick in die Szene
dieser Rituale, der Praktiken, der habituellen Inszenierungen der Therapeuten, der Psychiater und Psychologen? Ich maße mir keine Ausnahmestellung an, ich war auch nie Spion im klassischen Sinne, sondern allein Beobachter als Depressionskranker über viele, viele Jahre und dann – ich konnte endlich meine neue Rolle im Leben spielen – hatte ich plötzlich Einblick hinter die Kulissen des therapeutischen Theaters – und was alles wurde mir zugetragen! Anfangs konnte ich nur staunen, ungläubig zusehen, um dann mit gesunder Neugier den sogenannten Geheimnissen auf die Spur kommen zu wollen: der Skurrilität eines Berufsstandes, dessen Wissen und Gebaren auf sehr fragilen Säulen steht.
Bleiben wir bei der Skurrilität und befragen wir sie nach ihrem Eindruck auf den Patienten und damit nach dem Effekt, den sie hervorruft. Ich nehme hier vorweg, dass ich in den schlimmen Phasen meiner Depression, in denen ich so händeringend nach Hilfe gesucht habe, mich nie gegen die Marotten der Psychiater habe wehren können, denen ich ausgesetzt war. Ich bin nach einigen Sitzungen, in denen ich mich gefragt habe, was ich hier eigentlich soll, einfach nicht mehr hingegangen. Kein einziger Therapeut hat je nachgefragt, warum ich den vereinbarten Termin nicht wahrgenommen habe, kein einziger hat sich nach meinem Fortbleiben und meinem Befinden erkundigt und ob ich vielleicht sogar suizidgefährdet war – keiner. Nur die Rechnung über die wahrgenommenen therapeutischen Sitzungen kam jeweils zeitnah.
Es mag der Eindruck entstehen, dass ich mich mit diesem Buch für das erlittene Geschehen meiner Depression und der endlos langen Behandlungszeit – fast 20 Jahre – rächen will. Grund genug dazu hätte ich, aber das ist nicht mein Anliegen, im Gegenteil. Ich möchte vielmehr, dass all das, was
ich in meiner Behandlungsodyssee erlebt habe, anderen, die den dornigen Weg einer therapeutischen Behandlung gehen müssen, erspart bleibt. Je mehr das häufig skurrile Verhalten der Therapeuten bekannt wird, je mehr sich die Merkwürdigkeiten herumsprechen, desto eher wird sich etwas ändern, desto eher werden Menschen, die unter Depressionen leiden, nicht länger an der therapeutischen Nase ihres Behandlers herumgeführt.
Alle folgenden Schilderungen sind keine Karikaturen, sondern wurden von mir und anderen erkrankten Menschen hautnah erlebt. Eisernes Schweigen aufseiten des Therapeuten ist ein gern vollführtes Ritual. Wie wird sich der Patient verhalten, hat er noch Abwehrkräfte oder will er sich nur noch fallen lassen? Irgendwann dann die scheinbar erlösende Frage: Wie fühlen Sie sich? Diese Frage gehört zum dürren verbalen Standardrepertoire des Therapeuten, der sich jetzt einen ersten Einblick in das offene Seelenfenster seines Patienten erhofft. Nur: Was soll der denn jetzt antworten? Einem völlig fremden Menschen gegenüber? Während sich der Therapeut in Sprache und Mimik vollkommen verschließt, soll der Kranke über seine Seelenpein berichten – das ist absurd und zynisch. Woher soll er denn die Kraft nehmen?
Ebenso absurd ist es, wenn der Patient bei der ersten Sitzung als Eingangsritual ausgependelt wird – und der Therapeut nicht den Sinn seines Tuns erklärt, wenn es denn einen geben sollte. Absurd ist es auch, einen Depressions- oder Burn-out-Kranken mit der Spanne an Möglichkeiten für eine Behandlung zu konfrontieren, die von sofortiger stationärer Aufnahme bis zur Akupunktur reicht. Auch wenn der Chefarzt einer großen Universitätsklinik seine Patientin mit einer schwachen homöopathischen Tropfendosis behandelt und
ihr gleichzeitig jede Form von Parfümierung untersagt – selbst die in der Seife –, dann ist das mehr als befremdlich. Diese sogenannte Behandlung der Patientin dauert übrigens seit fünf Jahren an, bisher aber ohne jeden Erfolg und das Ende ist nicht abzusehen. Warum sich die Frau nicht wehrt? Weil sie in den Drohgebärden ihres Arztes versteinert und wehrlos geworden ist.
Ich habe mich auch lange an der Nase herumführen lassen, zu schwach und zu mutlos zu irgendeiner Gegenwehr. Hätte ich es doch bloß getan, dann wäre mir viel erspart worden und ich hätte viel Zeit, Lebenszeit(!) gewonnen. Als Kranker hatte ich jedoch keine Kraft dazu. Warum muss ein Therapeut seinen Patienten eine enge Wendeltreppe hinaufsteigen lassen, um in das Behandlungszimmer und zu dem von oben
Weitere Kostenlose Bücher