Psychotherapeuten im Visier
zweifelhafter Therapiekonzepte und ihrer guruhaften Vertreter. Warum aber diese Fülle an Themen und die übergroße Menge an Cartoons? Steckt dahinter nicht die Sehnsucht, dass es irgendwann doch wirklich ernst zu nehmende, eindeutige Behandlungsverfahren für seelische Erkrankungen gibt, da doch nahezu jeder Mensch im Laufe seines Lebens zumindest eine depressive Episode durchmacht – neben all den anderen psychischen Erkrankungen ?
Daher ist das nächste Kapitel auch mit »Kuriosa« überschrieben – Fallgeschichten therapeutischer Arbeit, wie sie uns das Patienten- und Therapeutendasein noch immer tagtäglich bieten. Man mag sie nicht glauben oder zumindest für weit übertrieben halten, aber sie sind die bittere Realität.
Kuriosa – Oder: Wenn Skurrilität als Bedrohung empfunden wird
In jedem Beruf gibt es eifrige Akteure, die stets bemüht sind, ihre gesellschaftliche Stellung durch Habitus und Kleidung vor sich her zu tragen: Der Hausmakler im gewollt seriösen Outfit – gern schwarz –, der niederrangige Bankmitarbeiter im dezenten Anzug, aber zu lauter Krawatte, der Architekt im lässig fallenden dunklen Jackett, offenem Hemd und Bleistift in der abgeschabten Brusttasche und der sich genialisch gebende Künstler mit der inzwischen weißen, wehenden Mähne der 70er-Jahre – der sich in Wahrheit biografisch nie wirklich weiterentwickelt hat und noch immer die Träume einer Ausnahmekarriere lebt. Habituelle Botschaften, die andeuten, worauf ich hinauswill. Jede gesellschaftliche Uniformierung ist plakativ: Seht her, ist doch wohl klar, dass ich Künstler bin, Architekt oder Banker! Auch wenn der Dresscode heute keine Verpflichtung mehr darstellt – außer vielleicht der Casual Friday in amerikanischen Büroetagen, wo alle lässig
mit offenem Hemd arbeiten, um, von oben diktiert, zeigen zu sollen: Schaut, so entspannt geht es in unserer Company zu. Und alle machen mit!
Kleider machen nicht nur Leute, die gelebte Kombination aus Kleidung, Gestik, Habitus und Sprache ist auch biografisches Gerüst, und je selbstverständlicher der Bügel des Selbstverständnisses im Kreuz getragen wird, desto überzeugender die Erscheinung. So die Wahrnehmung der Akteure.
Und wie ist die Wahrnehmung des Betrachters? Wie ist die Wahrnehmung derer, die als Hilfesuchende, als Kranke, Leidende, als temporär biografisch Schwache, einem Selbstdarsteller gegenübersitzen, dem ersehnten therapeutischen »Magier«, der dem eigenen Leiden endlich ein Ende setzten soll, der Hilfe anbietet, die Depression zu überwinden, zurückzukehren ins Leben – und eben gerade nicht den letzten Schritt zu tun, über den schon lange immer wieder so quälend gegrübelt wurde?
Die »Schlecht-Wetter-Depression«, wie ich sie nenne – also ein kleines oder auch größeres Stimmungstief, das nichts mit wirklichem Leid oder gar Krankheit zu tun hat – sollte jeder mit sich selbst abmachen, Freunde nach vergleichbarem Befinden befragen oder besser: es einfach zulassen. Dieses Betroffenheitsklientel mag zwar so manche therapeutische Praxis im Wortsinne beschäftigen, es lässt auch höchst interessante Studien über den Zustand unserer verwöhnten Gesellschaft zu, aber welch niedergelassener therapeutischer Einzelkämpfer ist schon an wissenschaftlichen Publikationen interessiert – in seinem Praxisalltag kann er sie sich finanziell ohnehin nicht leisten.
Der wirklich Kranke hat einen sehr klar ausgeprägten Erwartungs- und Wahrnehmungshorizont. Wie Seefahrer in vergangenen Jahrhunderten sind Menschen, die unter hartnäckigen
Depressionen wirklich (!) leiden, lebensbedrohlich durstig – sie quält die seelische Austrocknung. Jetzt sehnen sie sich nur noch nach dem erlösenden therapeutischen Trank, wie der Seemann, der in seiner dürstenden Not irgendwann das todbringende Meerwasser in vollen Zügen hinunterspült in der verzweifelten Hoffnung, seinen quälenden Durst wider besseren Wissens vielleicht doch löschen zu können. Er ahnt düster, dass ihm jetzt nicht mehr zu helfen ist, dass ihn kein Einziger an Bord wird retten oder zumindest in seiner dürstenden Verzweiflung beistehen wird. Die Mannschaft weiß, was ihm jetzt droht, er weiß es selbst, aber der Durst war stärker als jede Vernunft. Die Besatzung, so wollte es in der Vergangenheit das Gesetz auf hoher See, durfte nicht mehr helfen, sie musste den hoffnungslos »vernunftresistenten« Kameraden aufgegeben. Kiel holen, wie die Höchststrafe für das Vergehen lautete – also der
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