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Psychotherapeuten im Visier

Psychotherapeuten im Visier

Titel: Psychotherapeuten im Visier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Reiners
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versehen wird. Das bedeutet dann, dass er keine weiteren Termine mehr bekommt, die Krankenkasse informiert wird und keine zusätzliche Behandlung zahlt und der Patient sich selbst überlassen wird.
    Und das soll stimmen, lieber Autor? Ja, leider ist dieser Ablauf keine Seltenheit, sondern eher der Regelfall im Umgang mit »schwierigen«, also arbeitsintensiven Patienten. Der Begriff »therapieresistent« ist eine besonders böse Wortwahl im Umgang mit einem depressiven Menschen. Ärzte verweisen stets darauf, dass dieser Begriff in der Fachsprache unter Kollegen der eindeutigen Verständigung dient. Das mag bei gewissen Krankheiten zutreffen, aber sicher nicht bei der Depression. Menschen mögen auf die eine Behandlung nicht ansprechen, auf die nächste und übernächste Variante auch nicht, aber dann liegt es eben an dem Arzt, nach dem bestmöglichen Weg zu suchen, dem Patienten zu helfen. Zu sagen: Der ist therapieresistent, bedeutet für mich, der ich auch einmal so abklassifiziert wurde, allein den Beweis der Inkompetenz des Therapeuten. Ausgenommen sind die besonders
schweren Fälle der Depression, die aber ohnehin stationär behandelt werden und damit einer ganz anderen, nämlich seriösen Kontrolle des gesamten zuständigen ärztlichen Krankenhauspersonals unterliegen.
    Was also kann der Patient selbst tun, um nicht in irgendeine therapeutische Falle zu geraten, die ihn Lebenszeit kostet und seine Leidenszeit unnötig verlängert? Es gibt nur wenige Menschen, die ein bedrohliches Krankheitsgeschehen, mit dem sie im Laufe ihres Lebens konfrontiert werden, ganz mit sich allein ausmachen. Sie suchen vielmehr Rat bei Angehörigen und Freunden, holen im besten Falle eine Zweitmeinung ein, nehmen sich ein wenig Zeit, um alle Optionen abzuwägen, um dann, soweit möglich, selbstverantwortlich, zu entscheiden, wie die drohende Krankheit nun behandelt werden soll. Das wäre auch der vielversprechende Weg im Umgang mit der Depression. Leider sieht die Realität anders aus. Es gibt eine Fülle von Therapieansätzen, von therapeutischen Schulen, die keine Abweichung von der einmal aufgestellten Lehrmeinung zulassen, es gibt die Scharlatane – wie in allen Berufen – und die gutmeinenden Therapeuten, die aber ungern ihren Patienten an den Kollegen überweisen. Es könnte ja als Zeichen von Schwäche, Ungeduld oder gar Inkompetenz ausgelegt werden.
    Dann gibt es die Therapeuten, die sich selbst zu Heilern stilisieren und sich zu gefährlichen Gruppentherapien unter Mithilfe obskurer Drogen versteigen, wie im letzten Jahr in Berlin geschehen. Der Therapeut wurde zwar zu einer kurzen Haftstrafe verurteilt und mit einem Berufsverbot belegt und darf nicht mehr als niedergelassener Arzt oder Therapeut arbeiten, wohl aber nach Verbüßen der Strafe ärztlich im Krankenhaus tätig sein!
    Natürlich ist das ein Extremfall, der aber auch zeigt, zu
welch verzweifelten Schritten Patienten bereit sind, um endlich von ihren Leiden in der Depression erlöst zu werden. Denen geht es ja nicht um ein nettes Beisammensein und den friedlich geteilten Joint! Ebenso schrill nimmt sich ein Fall in Bremen aus, bei dem auch ein Mensch zu Tode gekommen ist. Die Therapeuten, die vor dem später begangenen Mord den auffälligen Mann begutachten sollten, konnten keine Gefahr erkennen. Sie sagten aus, von den Mordplänen hätten sie nichts mitbekommen, sie seien vielmehr von dem späteren Täter bewusst getäuscht worden! Kann es einen größeren Inkompetenzbeweis für zwei staatlich bestellte Gutachter geben? Macht es dann überhaupt noch Sinn, Prognosen über die Gefährlichkeit eines Menschen abzugeben, wenn ein junger Mann, der die Absicht hat, jemanden gezielt umzubringen, seine Gutachter so leicht hinters Licht führen kann? Ein Chirurg würde sich einen solchen Bären nicht aufbinden lassen. Da sind die Untersuchungsparameter sehr viel dichter angelegt – wobei natürlich in seltenen Fällen den behandelnden Ärzten auch Fehleinschätzungen unterlaufen. Aber bewusst täuschen lässt sich ein Chirurg bei einem gravierenden Krankheitsbild sicher nicht. So viel zum Kompetenzverständnis in unterschiedlichen ärztlichen Disziplinen.
    Wieder alles nur Schwarzmalerei? Nein. Realität. Auch die Situation, dass Patienten mit Depressionen über Jahre (Jahre!) behandelt werden und sich behandeln lassen, ist keine Seltenheit. Arzt und Psychotherapeut können häufig, wie man dann sagt, nicht loslassen und halten den Patienten in einem seelischen Zustand

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