Psychotherapeuten im Visier
der permanenten Verunsicherung und binden ihn damit an sich und ihr Behandlungskonzept. Davon gibt es viele Fälle, ob sie nun eine Gesprächstherapie wahrnehmen, eine kognitive oder sich auch Hilfe von einer Psychoanalyse versprechen.
Wenn Freud sagt, eine Behandlung, die nichts kostet, ist »umsonst«, dann ist das ein nettes Wortspiel, entbehrt aber auch nicht eines gewissen Zynismus. Man könnte auch sagen, eine Behandlung, die sich über Jahre hinzieht, war umsonst – aber dabei leider nicht kostenlos. Therapien müssen einem klaren Konzept unterliegen, sie müssen sich auch von Angehörigen oder dem Patienten selbst hinterfragen lassen, sie müssen jederzeit kontrollierbar sein und der Faktor Zeit hat die gleiche Gewichtung zu erfahren wie das inhaltliche Therapieprogramm. All das liegt in der Verantwortung des Therapeuten, der er sich jederzeit selbstkritisch stellen sollte, auch muss er es sich gefallen lassen, dass man ihm von außen in seine therapeutischen Karten schaut. Die Realität sieht allerdings anders aus.
Einen Ausweg aus diesem für die Patienten so schwer aufzubrechenden Dilemma sehe ich in einer Selbstverpflichtung der Therapeuten auf der einen und einer seriösen Zertifizierung ihres Tuns auf der anderen Seite. Es darf nicht sein, dass ein Therapeut nach der Approbation über Jahrzehnte seine therapeutischen Vorstellungen gleichsam als Versuch am Menschen auslebt, ohne jemals einer Kontrolle zu unterliegen. Patienten, die sich beschweren, die irgendwelchen Schwindel aufdecken wollen, tun sich schwer in dem kollegialen Geflecht, das in Krisenzeiten immer zusammenhält, sodass nur sehr selten das sogenannte schwarze Schaf in der weißen Herde der Rechtschaffenden irgendwann einmal auffliegt. Es sei denn, es macht sich ganz offensichtlich strafbar.
Es gibt aber auch Patienten, die dafür sorgen, dass das gesamte System gegenseitig kultivierter Abhängigkeiten so lange Bestand haben kann. Wer sich in der Therapie als Lebensform auf Dauer einrichten will, muss sich fragen lassen,
ob ein solches Verhalten der eigenen Verantwortung dem Leben gegenüber gerecht wird und ob es den vielen, vielen Patienten, die so dringend einen Therapieplatz erhoffen, gegenüber fair ist. Wer sich über Jahre in der Therapie versteckt, bekennt sich zur eigenen Lebensunfähigkeit und muss sich diesen Vorwurf auch gefallen lassen. Vor allem dann, wenn der behandelnde Arzt nicht irgendwann ein Machtwort spricht und den Patienten dann schnell und gezielt dem eigentlichen Leben überantwortet. Wellnesskonzepte für die Seele gehören nicht ins Arzt- oder Therapeutenzimmer, dafür gibt es ausreichend qualifizierte Alternativen in kommerziellen Einrichtungen.
Fluch der Anmaßung
Ja, es liegt ein Fluch über dem therapeutischen Dasein – die ältere, die jüngere und auch die jüngste Vergangenheit bis in die Gegenwart sind gemeint. Beträfe der Fluch nur die Akteure, dann wäre es allein deren Aufgabe, diesen zu überwinden, abzuschütteln und durch ein mutiges Bekenntnis zu einem unbedingten empathischen Verständnis des therapeutischen Tuns zu ersetzen. Davon sind wir aber weit entfernt, ein solches Bekenntnis ist stets individuell und muss der alleinige Maßstab verantwortungsvoller therapeutischer Tätigkeit sein. Alles andere ist Berechnung, finanzielles Kalkül, Ausnutzen der eigenen Machtposition und ein Verrat am geleisteten Eid des ärztlichen Daseins.
Die Autorin Cornelia Brink zeichnet in ihrem Buch »Grenzen der Anstalt – Psychiatrie und Gesellschaft in Deutschland von 1860 – 1980« die Geschichte der Psychiatrie auf. Sind die Anfänge interessant, weil sich die Ärzte überzeugt der Pflege und Heilung ihrer Patienten widmeten, so ist die Situation um 1900 vor allem von der Forschung bestimmt – das
Berufsbild des Psychiaters begann sich zu festigen und vor allem zu faszinieren – Ärzte und Patienten gleichermaßen. Gewissheiten wurden formuliert und praktiziert. So herrschte schon bald die Meinung vor, dass Patienten, die unter Depressionen litten, nicht in ihrer gewohnten Umgebung gesund werden könnten, sondern nur in einer Heilanstalt. Das war gut gemeint, verführte aber auch so manche Familie dazu, sich eines lästigen Angehörigen zu entledigen, indem er als gefährlich und unberechenbar beschrieben wurde. Die Heilanstalten wurden zu Bewahranstalten. Zitat: »Um einer drohenden Überfüllung entgegenzuwirken, wurden chronisch Kranke und solche, die als unheilbar galten, trotz medizinischer
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