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Psychotherapeuten im Visier

Psychotherapeuten im Visier

Titel: Psychotherapeuten im Visier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Reiners
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weiß er meist nicht, was ihn erwartet. Wie viel klarer sind da die Verhältnisse zwischen Patient und Chirurg. Niemand will krank sein, aber Klarheit im Umgang zwischen Arzt und Patient – natürlich im Rahmen einer empathischen Atmosphäre – ist nicht nur schnell vertrauensbildend, ist stets entlastend, läst Hoffnung aufkommen und Ängste und reale Erwartungen beginnen sich in einem solchen Gespräch langsam zu decken – der Blick des Patienten richtet sich, seelisch entlastet, auch wieder auf die Zukunft.
    Manchmal zeigen die Reformbemühungen im Gesundheitswesen auch positive Effekte. Die Verweildauer im Krankenhaus wird immer kürzer, die Effizienz der Behandlungen größer und das menschliche Verhältnis zwischen Arzt und Patient bei somatischen Erkrankungen hat sich zu einer Begegnung auf Augenhöhe entwickelt, wobei die medizinische Kompetenz vorausgesetzt wird, nicht aber mehr zu einem Verhältnis von Oben nach Unten verführt. Joviale Kompetenz ist gefragt, weil inzwischen in der Praxis wie im Krankenhaus der Arzt auch seine eigene Marketing- und Werbeabteilung ist. Wem in der Klinik der Ruf der Arroganz vorauseilt, wird es im Umgang mit Patienten, was die Beliebtheit und damit das Weiterempfehlen angeht, nicht leicht haben.
    Psychotherapeuten nehmen dagegen noch immer eine Sonderrolle ein. Aus unzähligen Schilderungen Betroffener werde ich immer wieder damit konfrontiert, dass viele in ihrer Selbstdarstellung diesen Status des Besonderen pflegen.
Der gebietet Distanz zum Patienten, überlässt ihn damit leider auch nur zu oft sich selbst – selbst in der Therapiestunde. Bei manchen Schilderungen von Patienten habe ich das Gefühl, dass sich die Therapeuten selbst nicht darüber im Klaren sind, ob sie die Akteure darstellen oder doch eher das Gespann aus Patient und Zeit.
    Therapeuten empfinden sich selbst gern als Autorität. Leider ist dieses Verständnis für den Patienten nicht hilfreich. Möchtegernautoritäten entziehen sich häufig der Verantwortung. Sie überlassen den Genesungsprozess in der Depression nur zu gern dem Patienten selbst. Eine Therapiestunde pro Woche – was soll das an Orientierung, was an Entlastung für den Kranken bringen? Für mich ist dieses Szenario Abbild eines systemimmanenten Zynismus: so hat es die Vorgängergeneration der Therapeuten schon gehalten, wir toppen es, indem wir uns noch undurchsichtiger machen. Und die finanziellen Fesseln zementieren diese Haltung.
    Wem nach einer Hüftoperation eine Rehaklinik empfohlen wird, der kann sich dort einem straffen Programm unterziehen, die Folgen des Eingriffs möglichst schnell zu überwinden, um in den gewohnten Bewegungsalltag – auch mit sportlicher Betätigung – zurückzukehren. Manche Patienten sind sehr fordernd, andere lassen sich eher etwas Zeit und schonen sich. Dieser konsequent-effektive Ablauf von chirurgischem Eingriff, Nachbehandlung, Heilung und Rückkehr zur Alltagsnormalität ist den Therapeuten nicht nur fremd, er ist ihnen vor allem suspekt. Natürlich gibt es nicht das Skalpell für die Seele, aber es ist längst erwiesen, dass therapeutische Kompetenz die Effizienz nicht ausschließt, dass Zeit ein kostbares Gut für den Kranken ist, mit dem man nicht endlos als Therapeut spielen darf, und dass ein klares Behandlungskonzept – so lang es auch terminiert sein mag – in
jedem Falle besser ist als das Alleingelassensein mit sich selbst und der persönlichen Ursachenforschung, dem Fragen also nach dem Warum. Bedauerliche Realität ist, dass sie hier ein böses Spiel treiben. Sie sonnen sich in ihrer vermeintlich undurchsichtigen Rolle und nehmen gar nicht wahr, wie leicht ihr schlechtes Theater zu durchschauen ist. Nur leider nicht von all denen, die krank sind – sie sind zu diesem Blick aus der Distanz nicht in der Lage. Umso härter fällt häufig ihr Urteil über die behandelnden Therapeuten aus, wenn sie genesen sind. Dann kommt heraus, dass die Therapie selbst nur wenig Einfluss auf die Überwindung der Krankheit hatte. Es ist ein niederschmetterndes Urteil, das aber belegt ist: 90 Prozent der Therapien helfen nicht, 50 Prozent schaden den Patienten, aber nur bei 10 Prozent der Kranken, die wegen einer Depression behandelt werden, kann man wirklich davon ausgehen, dass sie ohne die Psychotherapie nicht genesen wären.
    Es heißt, Geld verdirbt den Charakter. Besser hieße es wohl, Geld prägt den Charakter, schließlich gibt es ja auch Mäzene und nicht nur böse geldgierige Heuschrecken.

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