Psychotherapeuten im Visier
seelischen Zustand derart zu dramatisieren, dass »Kaiser, Könige und Päpste« darauf hereinfallen – und vor allem geduldig verzeihen und einfach auf Besserung warten würden. Das manipulative Element aufseiten der Patienten gibt es natürlich, aber es dient eher zum Selbstschutz, als dass sie sich dadurch irgendeinen Vorteil verschaffen wollten. Vielmehr wird ihnen nur zu gern – besonders von Angehörigen – unterstellt, sie würden ihren Krankheitsstatus
missbrauchen, sie würden simulieren und manipulieren, weil sie sich so nicht dem Leben stellen müssten. Das sind böswillige Unterstellungen, die für den Betroffenen äußerst schmerzhaft sind. Ich habe dieses ewige Spießrutenlaufen selbst lange genug erlebt.
Zurück zu den nie wirklich aufgearbeiteten Strukturen und Verhaltensweisen in der Psychiatrie und Psychologie, die häufig für den Patienten nur Demütigung und Zermürbung bedeuten. Hierarchie, angemaßte Autorität und Selbstüberschätzung sind die Stichworte – Fluch einer nicht bewältigten Vergangenheit. Wider besseres Wissen werden Rituale und Praktiken gepflegt, die dem Patienten wenig, dem Therapeuten dagegen sehr nützen, nicht nur finanziell, sondern vor allem in dem Beharren auf seiner Sonderstellung des seelischen Radiologen.
Wie tief die Spuren und Prägungen der noch immer gepflegten Ausbildungsrituale bei Therapeuten sind, karikiert ein Witz, der an Aktualität seit Jahrzehnten nichts eingebüßt hat und das Autoritätsverständnis von angehenden Medizinern aufs Korn nimmt: In einer Vorlesung im Sinne des Studium Generale stellt der Professor am Ende die Aufgabe, die ersten zehn Seiten des örtlichen Telefonbuchs auswendig zu lernen. Das Auditorium lässt das Gesagte auf sich wirken und ein eifriger junger Medizinstudent fragt: »Herr Professor, bis wann?« Ehe er die Antwort geben kann, platzt es einem jungen Mann einer ganz anderen Fachrichtung heraus: »Herr Professor, warum?« So unterschiedlich können die Prägungen sein. Gedrillt auf Gehorsam oder eben lebensnah angeregt zu kritischem Denken. In der Medizin sind sie bis heute in schlechtem Sinne autoritär, sie machen klein, unterwürfig, abhängig – und dieses Verständnis von Oben und Unten zieht sich durch so manchen Klinikalltag, ist dort selten angezweifelte
Regel in der Ausbildung und wird von den Akteuren irgendwann als vollkommen selbstverständlich empfunden. Wer über lange Zeit als Assistent intellektueller Leibeigener seines Chefs war, wird alles daransetzen, eine solche herausgehobene Stellung irgendwann auch selbst einnehmen zu können. Das gilt nicht nur für Therapeuten, das sind die Spielregeln an deutschen Kliniken und Universitäten, die sie so unflexibel machen. Ein weiteres Merkmal ist unsere anerzogene Mentalität, dass Arbeit immer Kampf und Entbehrung bedeuten muss – niemals Freude. Freude ist Privatvergnügen. Wie anders ist dagegen das intellektuelle Klima an amerikanischen Universitäten, in denen gerade das Prinzip des freudig-engagierten Arbeitens gelehrt und gelebt wird – autoritäres Verbiegen von Studenten und Kollegen ist verpönt. Entsprechend positiv und stimulierend ist die Atmosphäre dort.
Psychotherapeut – ein großes Wort, das geradezu pathetisch die Sonderrolle des Akteurs assoziiert. Wie anders klingt dagegen die Bezeichnung »Schmerztherapeut«! An einen Schmerztherapeuten hat der Patient klare Erwartungen: Seine Schmerzen besonders bei schweren Erkrankungen soweit es geht schnell und nachhaltig zu lindern. Es ist nicht zufällig eine junge Disziplin, die es nicht immer leicht hat, sich gegen überkommene Vorstellungen bei Kollegen und auch bei Patienten durchzusetzen. Sie trauen sich oft nicht, um Schmerzmittel zu bitten, weil sie nicht als Feiglinge dastehen wollen. Welch ein verkorkstes Verhältnis zum Schmerz, das leider häufig von Ärzten – für mich völlig unverständlich – geteilt wird. Wie sind dagegen unsere Erwartungen an einen Psychotherapeuten und Psychiater? Machen wir uns nichts vor: Sie sind sehr diffus, schließlich ist ja auch das Krankheitsgeschehen der Depression für den Betroffenen
zuerst einmal völlig unerklärlich. Entsprechend groß ist noch immer der innere Widerstand, überhaupt einen Therapeuten aufzusuchen. Erst wenn gar nichts mehr geht und der Hausarzt nicht weiterweiß, überweist er den Patienten an die nächste Instanz, wissend, wie schwer es diesem fällt, sich einem Psychologen oder gar der Psychiatrie anzuvertrauen, schließlich
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