Pubertät – Loslassen und Haltgeben
davon. Jetzt ist sie stolz auf sich, trägt Ring und Tattoo wie ein Brandzeichen, ein Markensymbol – ganz so, als wolle sie ausdrücken: «Schaut her, wer ich bin!»
Völlig anders stellt sich die Situation bei Joana dar. Ihre Selbstverletzung vollzieht sich als heimlicher Akt und ist daher unterschiedlich zu bewerten. Joanas Selbstverletzung stiftet keinen Sinn wie bei Janine, die sich darüber als eigenständige Person definiert. Joanas Tun drückt Hilflosigkeit aus. Es ist eine ebenso ohnmächtige wie problematische Handlung, Hoffnungslosigkeit zu verarbeiten und hilflos um Hilfe zu rufen. Bei Joana zeigt sich eine Selbstverletzung, der ein psychiatrisches Problem zugrunde liegt: Hinter dem fast zwanghaften Hautkratzen und Aufkratzen von Wunden, dem Ausreißen der Körperbehaarung und ihrem Verschlucken steckt das Gefühl, sich verletzen zu müssen. Es entsteht ein Druck, der durch die Selbstverletzung entladen wird. Wenn Blut fließt, vermag dies – wie bei Joana – zunächst eine Erleichterung bewirken, danach bauen sich Scham und Schuld auf.
Aber es gibt weitere Gründe für diese Form des selbstverletzenden Handelns: Es kann eine innere emotionale Spannung ebenso ausdrücken wie der ohnmächtige Versuch sein, sich zu fühlen; es kann Machtausübung über den eigenen Körper ebenso darstellen wie das Bestreben, Kontrolle über sich zu erlangen.
Selbstverletzungen gehen wie bei Joana meist mit extremen Minderwertigkeitsgefühlen, mit Selbsthass und mit Perspektivlosigkeit einher. Wut und Zorn auf andere werden auf sich und gegen sich gerichtet. Wird bei diesem Akt der Selbstverletzung nicht therapeutisch interveniert, wird er nur unterbunden, kommt es – wie bei Joana – zu Symptomverschiebungen: zu depressiven Stimmungen, Essens- und Trinkverweigerungen, Suiziddrohungen.
Rauschtrinken und Komasaufen
«Ich war 13», erzählt der mittlerweile 1 5-jährige Niklas, «da habe ich eine Zeit lang richtig Gas gegeben, habe mir die Kante gegeben. Ich war regelmäßig komplett zugedröhnt. Ein paarmal hatte ich einen kompletten Filmriss.» Er schüttelt den Kopf. «Ich war der Jüngste in der Gruppe, wollte einfach cool sein. Dann bin ich mal zusammengebrochen, bin zu einem Arzt gekommen und der hat mir die Meinung gesagt, hat mich geschockt, wohin das mit dem Saufen führen kann.»
Sie brauche immer noch den «Kick» mit dem Alkohol, berichtet die 1 6-jährige Ilona. «Wir saufen freitags oder samstags.» An Alkohol zu kommen, das wäre «nun das geringste Problem». Nachschub gebe es überall. «Und außerdem sind die Kontrollen doch wirklich lasch.» Sie schmunzelt. «Und dann gibt es genügend Discos, wo die das nicht so genau nehmen.» Dann lächelt sie. «Und außerdem machen Verbote doch nur ‹kreativer›. Auswege gibt es immer.» Was denn ihre Eltern sagen würden, will ich wissen, wenn sie im «Vollrausch» nach Hause komme. Einen «Filmriss» habe sie noch nie gehabt, betont sie mit fester Stimme, dann «gibt’s Zoff. Zwei Wochen Hausarrest oder so ein Schwachsinn.» Aber sie müsse ihren Eltern nur lange genug auf den Wecker fallen, dann werden sie weich «und ich darf auf die Piste». Nerviger wäre «dieses moralische Getue meiner Mutter. Diese Vorträge über spätere Schäden, wenn ich so weitersaufe.» Sie runzelt die Stirn. «Aber weiß sie denn, ob ich alt werden will?»
Er habe sich drei Jahre regelmäßig in die Bewusstlosigkeit getrunken, meint der 1 9-jährige Patrick. «Aber seit etwa zwei Jahren ist damit Schluss. Schon mal zwei oder drei Bier, vielleicht auch mal Wein. Aber keine harten Sachen mehr.» Er bemühe sich, alles unter Kontrolle zu haben. Denn das wäre das Schlimmste gewesen, dieser komplette Kontrollverlust beim Komasaufen.Da spürst du nichts mehr, «torkelst nur noch rum». Er habe ein schreckliches Erlebnis gehabt, sagt er mit ernster Miene, «und von da an war Schluss mit der Kampftrinkerei!». Seine Augen verengen sich, so als sähe er die Situation von damals wiederauftauchen. Sie hätten im Park gefeiert, wären alle «total breit» gewesen. «Ich bin dann eine Treppe hinuntergestürzt. Meine Kumpels haben das nicht gemerkt. Die haben sich irgendwann verdrückt, haben gar nicht gemerkt, dass ich fehle, so besoffen waren die.» Er habe dann da gelegen, «in meiner Scheiße, in meiner Kotze». Dann habe ihn ein Ehepaar, «das zufällig noch nachts durch den Park ging», gefunden, «völlig unterkühlt, mit gebrochenem Arm. Mir brauchte danach keiner mehr etwas
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