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Pubertät – Loslassen und Haltgeben

Pubertät – Loslassen und Haltgeben

Titel: Pubertät – Loslassen und Haltgeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Uwe Rogge
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über die Folgen des Saufens zu erklären. Ich war geheilt. Ich habe mich so was von geschämt darüber, wie ich ausgesehen und gestunken habe.» Seine Stimme wird leise: «Als ich dann aufgewacht bin, hatte ich eine Windel zwischen den Beinen, weil ich nichts mehr halten konnte.» Das sei absolut entwürdigend, aber auch sehr hilfreich gewesen.
    Das sind drei kurze Schilderungen, die die subjektive Sichtweise des Kampftrinkens beleuchten. Unter Rauschtrinken versteht man nicht einen leichten Schwips, sondern einen exzessiven Alkoholkonsum, der zum Vollrausch oder zu komatärer Bewusstlosigkeit führt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nimmt die Zahl derjenigen Heranwachsenden, die zu einer stationären Behandlung wegen eines Vollrausches und komatärer Bewusstlosigkeit in die Klinik kommen, zu. Zwischen 2002 und 2009 hat sich die Zahl mehr als verdoppelt: 2009 waren etwa 26   000   Kinder und Jugendliche zu einer Behandlung in der Klinik.
     
    Die Ursachen für diese Zunahme sind eher komplex und nicht monokausal zu erklären: 
Zweifelsohne hat eine höhere öffentliche Sensibilität zu genauererBeobachtung geführt und damit auch die Dringlichkeit von Klinikbehandlungen nahegelegt. Man schaut eben nicht mehr weg, wenn man volltrunkene Heranwachsende sieht.
Der Alkoholkonsum und dessen Folgen werden nicht mehr verharmlost. Denn unbestritten ist, dass Kinder und Jugendliche lebenszeitlich früher anfangen, zu trinken und sich zu betrinken. Im Unterschied zu früher – so eine Beobachtung – haben viele Heranwachsende ein Körpergefühl verloren, wann sie mit dem Trinken aufhören sollten. Da sie diese physische Grenze nicht (mehr) wahrnehmen, überschreiten sie diese ständig, überfordern und schädigen ihren Körper. Man kommt dem Komasaufen aber mit überzogenen und dramatisierenden Warnungen eher entgegen. Auffällig ist, dass der Alkoholkonsum insgesamt abnimmt. Hier zeigen sich positive Folgen von Präventionsmaßnahmen – und zugleich ihre blinden Flecken. Denn nicht immer mehr Heranwachsende trinken immer mehr, vielmehr trinken immer weniger immer mehr! Auf diese gefährdete Zielgruppe müssten sich präventive Strategien konzentrieren. Das hört sich einfach an, ist aber nicht leicht umzusetzen, ist doch diese Zielgruppe für Präventionsmaßnahmen nicht leicht zu erreichen.
Zweifelsohne spielen Freunde, spielt der Gruppendruck beim Kampftrinken eine herausragende Rolle. Man will in Stimmung kommen, stachelt sich auf. Der Alkoholkonsum eint, man fühlt sich toll, scheint unbesiegbar, vergisst im Konsens der Gruppe das Gefühl von Gefahr. Das sich neu strukturierende Gehirn erkennt Probleme, gar Schädigungen, die sich aus dem Kampftrinken ergeben können, nicht. Das im Umbau befindliche Gehirn des Heranwachsenden, vor allem das Dopamin, will Spaß und unmittelbare Bedürfnisbefriedigung. Verweise auf spätere Schädigungen verhallen häufig ungehört und werden gern als Belästigung und Belehrung abgetan.
     
    Unterhält man sich mit Heranwachsenden über das Rauschtrinken und dessen möglichen Folgen, dann wird eine erschreckende Ahnungslosigkeit sichtbar. Heranwachsende wissen wenig über die Auswirkungen des «Filmrisses», z.   B.:
häufig unterkühlt zu werden
im Erbrochenen zu liegen und daran zu ersticken
sich komplett zu entleeren und in seinen Exkrementen zu liegen.
    Zudem werden gesundheitliche Schädigungen geringgeschätzt oder ganz verdrängt. Die Leber wächst eben nicht mit ihren Aufgaben, schon gar nicht in jüngeren Jahren. Aufklärungskampagnen, die eine Mischung aus jugendgerechter Informationsvermittlung, jugendärztlicher Betreuung und Bewegung (Sport, Musik) darstellen, sind deshalb genauso notwendig wie Präventionsprojekte.
    So notwendig rechtliche Maßnahmen sind, sie können nur begleiten – personale Angebote sind notwendiger denn je. Und so gutgemeint nächtlicher Verkaufsstopp an Tankstellen auch gedacht war, solche Strategien werden schnell unterlaufen, zumal «Hochprozentiges» jene Heranwachsenden kaufen, die bereits betrunken sind und genügend Wege finden, an ihren Stoff zu kommen. Und so wegweisend das Jugendschutzgesetz ist, es wird doch häufig unterlaufen. Statt nach immer schärferen Gesetzen zu verlangen, sind regelmäßige Kontrollen wichtiger, die die Einhaltung bestehender Gesetze überprüfen. Und dazu gehört eine angemessene personelle Ausstattung von Jugendamt und Polizei, die nicht nur kontrollieren, sondern auch den Kontakt zu den Jugendlichen

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