Pubertät – Loslassen und Haltgeben
sie ratlos, wenn der Leistungsabfall in der Schule mit einer schrillen Inszenierung des Körpers einhergeht.
Doch bedenken Sie: Pubertierende haben ein eigenes Tempo, um sich zu entwickeln. Dabei haben sie nicht nur den Vorwärtsgang eingeschaltet. Stillstand und Rückwärtsgehen gehören – so nervend es ist, dies nicht nur einmal zu beobachten – dazu.
Und führen Sie sich vor Augen: Hormone verändern nicht nur den Körper, sie sind auch für seelische Schwankungen verantwortlich. Die Palette reicht von Selbstzweifeln, Weltschmerz, Weinerlichkeit und überzogenen Wünschen nach Eigenständigkeit bis hin zu Ängsten, beleidigtem Schweigen und plötzlichen Wutausbrüchen oder ständigem Herummosern.
Eltern, die auf solche Art Gefühlsschwankungen ironisch – «Du hast wohl deine Launen!» oder «Du hast wohl deine Tage!» –, die darauf machtorientiert – «Stell dich nicht so an, es wird gemacht, was ich sage!» – oder unbeherrscht-überzogen – «Halt den Mund!» oder «Mir geht dein Getue auf den Wecker!» – reagieren, dürfen sich nicht wundern, wenn sie mit ihren pubertierendenKindern in kürzester Zeit in einen Machtkampf verwickelt sind.
«Meine Tochter schminkt sich absolut überzogen», stellt die Mutter der 1 2-jährigen Anja fest. «Sie sieht aus wie ein Clown. Aber ich sage nichts.»
«Wenn mein Sohn», so der Vater des 1 3-jährigen Klaus, «gut drauf ist, dann sieht sein Gesicht rein aus, ist er schlecht drauf, hat er nur Pickel. Und wehe, man will ihm irgendwelche Hilfestellung geben, dann eskaliert die Situation sofort!»
«Ich sehe, wie meine Tochter vor dem Spiegel steht, sich die Pickel ausdrückt und leidet», so die Mutter der 1 3-jährigen Svenja. «Wenn ich sie aber in den Arm nehmen will, streicheln möchte, trösten will, stößt sie mich brutal weg. Neulich habe ich ‹Arme Svenja› gesagt, da hat sie gefaucht: ‹Ich bin nicht arm, ich bin hässlich.›»
So, wie dem Hummer ein größerer und schönerer Panzer wächst, so legen Jugendliche die Kinderhaut ab und schlüpfen in eine Erwachsenenhaut. In dieser Zeit macht die Haut zahlreiche Veränderungen durch, sie ist pickelig, fettig, unrein, voller Akne. Vom Zustand der Haut lässt sich etwas ablesen – es spiegeln sich innere und äußere Befindlichkeiten. Die Haut grenzt nach außen ab und bietet Schutz davor, zu tief ins Innere zu blicken. Eine Haut, die keine Berührung, nicht einmal eine Annäherung erlaubt, signalisiert Abgrenzung und Lösung, Distanz und ein Bedürfnis nach In-Ruhe-gelassen-Werden. Mögen Eltern solche – manchmal schroff inszenierte – Abgrenzungen auch als lieblos empfinden, für Heranwachsende stellt das eine Schutzmaßnahme dar.
Es ist nicht leicht, Pubertierende bei der Bewältigung dieser Entwicklungsaufgabe zu unterstützen, zumal sie den Weg und das Ziel allein finden müssen. Wenn sich Eltern als Begleiter verstehen, sollten sie einige Grundsätze beherzigen:
Halten Sie sich als Gesprächspartner zur Verfügung. Aber stellen Sie es Ihrem Sohn oder Ihrer Tochter anheim, ob er oder sie das Angebot annehmen möchte. Geben Sie die Informationen, die Ihr heranwachsendes Kind haben möchte. Halten Sie keine Vorträge, sondern achten Sie auf die Fragen, die Ihnen gestellt werden. Bagatellisieren hilft ebenso wenig wie Dramatisieren. Wichtiger ist ein Normalisieren, soll heißen: dem Pubertierenden Informationen zu geben, damit er seine körperlichen Veränderungen genauer einschätzen kann – seien es nun Informationen über das Wachstum der Bart- und Schamhaare, die Veränderung der Stimme, die Vergrößerung der Geschlechtsorgane, die Entwicklung der Brust oder den Ablauf der Menstruation.
Respektieren und achten Sie die seelischen Veränderungen, die mit den körperlichen Entwicklungsprozessen einhergehen. Deuten Sie Stimmungsschwankungen, Selbstzweifel, Aggressionen nicht automatisch als gegen Sie gerichtet. Wenn Ihr Kind Ruhe wünscht, so lassen Sie ihm diese Ruhe. Bedenken Sie aber auch: So unnahbar sich Heranwachsende manches Mal geben, so wünschen sie sich doch hin und wieder gefühlsmäßige Nähe zu ihren Eltern. Manchmal entwickeln Jugendliche geradezu kleinkindhafte Kuschelbedürfnisse.
Jedes Kind hat einen eigenen Fahrplan, mit dem es die Pubertät durchläuft – einige starten zu früh, andere spät, einige halten überall, nehmen jede Bahnstation mit, andere halten sich an einigen Bahnhöfen besonders lange auf, manche fahren im IC E-Tempo , manche wie eine
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