Pubertät – Loslassen und Haltgeben
etc. gegenüber dem Partner oder der Partnerin darzustellen. Dieses trifft auf Thomas’ Vater zu, der versucht, durch seine Erziehungshaltung sowohl Macht über seinen Sohn wie über seine Frau auszuüben. Er funktionalisiert seinen Erziehungsstil für sein spezifisches Machtinteresse.
Die Folge sind Machtkämpfe auf verschiedenen Ebenen. Seine Frau hat dies so ausgedrückt: «Aus jeder Kleinigkeit wird bei uns gleich ein großer Streit, eine wirkliche Lösung ist da nicht möglich.» Es geht Thomas’ Vater vor allem um Besserwisserei und um Belehrung. Die daraus resultierenden Konflikte verschlechtern das Familienklima und führen zu gestörten Eltern-Kind-Beziehungen. Diese Störungen haben nichts mit einem differierenden Erziehungsstil von Vater und Mutter zu tun, sie sind Ausdruck von Machtkämpfen in der Partnerschaft.
Unterschiedliche Erziehungsstile können nur auf der Grundlage von gemeinsam verbindlichen Grundprinzipien in der Erziehung praktiziert werden: etwa Partnerschaftlichkeit, klare Grenzen, Festigkeit, Achtung des Kindes, ein angemessenes Verhältnis von Nähe und Distanz.
Zur partnerschaftlichen Erziehung gehört es, sich in seiner Persönlichkeit gegenseitig zu achten und zu respektieren und dies auch einzufordern.
Halt geben hat nichts mit Festhalten und Loslassen nichts mit Rückzug oder fehlenden Gefühlen zu tun. Wer festhält, verhindertVeränderungswünsche der Pubertierenden, überträgt ihnen keine Verantwortung für ihr Tun. Ein Rückzug und eine zu schwache emotionale Reaktion lassen dagegen Bindung und Nähe nicht entstehen.
WIE KINDER SICH ZU ERWACHSENEN ENTWICKELN
«Ich bin», so die 1 4-jährige Henriette, «einfach hin- und hergerissen. Ich spüre schon den Druck, der auf meinen Schultern lastet. Alle wollen etwas von mir. Und ich möchte ja auch etwas tun. Nur weiß ich nicht, ob ich das auch schaffe.»
David nickt, als er das hört. Auch er ist 14 Jahre alt: «Ich kann schon viel erreichen, wenn ich nur will. Aber das kostet auch Kraft. Und dann bin ich unsicher, ob das richtig ist, was ich mache. Es ist ein ewiges Hin und Her. Trotzdem ist das eine geile Zeit!»
«Stimmt», fällt Ronald ihm ins Wort. «Du kannst Pläne machen. Deine Pläne. Irre Pläne. Aber dann wirst du auch auf den Boden der Tatsachen geholt. Aber das ist manchmal auch gut so.» Er zögert etwas: «Nur zur Schule, da habe ich momentan keinen richtigen Bock drauf. Das kommt einem alles so klein vor, diese Schule. Ich will doch die Welt bewegen!»
Auch wenn Pubertierende verschiedenen Einflüssen unterliegen, sind sie den Umwelteinflüssen, den elterlichen oder schulischen Anforderungen, den medialen Reizen, der Aufdringlichkeit der Konsumwelt, den Ansprüchen des Freundeskreises keineswegs passiv ausgeliefert – Heranwachsende sind produktive Deuter und Architekten ihrer Lebenswelt. Sie nehmen Aufgaben und Erwartungen wahr, die die Umwelt an sie heranträgt. Sie wählen aus und erproben Konzepte. Dies bedeutet: Heranwachsende werden mit Problemen und Konflikten konfrontiert, um sie zu bewältigen.
Ich habe verschiedentlich mit dem Begriff «Entwicklungsaufgabe» argumentiert. Dieser geht auf den amerikanischen Soziologen Havighurst zurück. Entwicklungsaufgaben sind charakteristisch für bestimmte Lebensabschnitte, ja, sie sind an siegebunden. Solche Entwicklungsaufgaben setzen intellektuelle, moralische, gefühlsmäßige und soziale Fähigkeiten voraus, sie sind bedingt durch biologisches Wachstum und psychische Reifungsprozesse, nicht zuletzt aber auch geprägt durch Erwartungen, die die Gesellschaft und die Kultur an Heranwachsende stellen. Eltern reagieren auf die Entwicklungsaufgaben, denen sich ihre heranwachsenden Kinder zu stellen haben, häufig ängstlich, manchmal gar überfürsorglich und anklammernd. Manche versuchen – dies allerdings vergeblich –, die anstehenden Aufgaben für ihre Kinder zu lösen.
Eltern könnten vertrauensvoller die Entwicklung ihrer Heranwachsenden begleiten, wenn sie um den positiven Ausgang wüssten. Doch es gibt keine Garantie, dass der Heranwachsende seine Aufgaben so erfolgreich meistert, wie es in Lehrbüchern steht. Jeder Jugendliche muss Lösungen entwickeln, die seinen Möglichkeiten, seiner Lebenssituation, seinen persönlichen Bedürfnissen entsprechen. Deshalb fallen die Lösungen so verschieden aus, deshalb ist das Tempo, mit dem sie angegangen werden, nicht zu vergleichen. Eltern haben die Individualität ihres Kindes unbedingt zu
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