Pubertät – Loslassen und Haltgeben
oder zu treffen, macht diese nur noch wichtiger und führt fast zwangsläufig dazu, dass es zu Heimlichkeiten kommt.
«Aber», so fragt eine Mutter, die sich während einer Beratung über die Freundin ihrer Tochter beklagt, «darf ich denn gar nichts mehr sagen, muss ich alles klaglos hinnehmen?»
«Was behagt Ihnen nicht an der Freundin Ihrer Tochter?», will ich wissen.
«Meine Tochter will dort übernachten. Die Freundin ist älter, schminkt sich schon. Ich glaube, sie hat auch Freunde!» Sie macht eine Pause. «Aber alles, was sie macht, findet meine Tochter in Ordnung. Und mich findet sie spießig!»
«Welche Ängste haben Sie?»
Sie sieht mich ernst an. «Die Mutter der Freundin hat keinen guten Ruf. Bei der sollen die Männer ein und aus gehen. Sie soll als Prostituierte arbeiten …»
«Und Sie sehen Ihre Tochter schon verführt. Wie alt ist Ihre Tochter?»
«Doch erst fünfzehn!»
«Ich verstehe Ihr Unbehagen, Ihre Unsicherheit. Aber Verbote helfen nicht!»
«Und was soll ich machen?» Ihre Stimme klingt ratlos und verzweifelt.
Mit ihrer Tochter über die eigenen Sorgen reden, die fragliche Freundin zu sich einladen und – falls sie das beruhige – auch mit der Mutter der Freundin reden – offen und klar. Ihre Tochter antwortet zur Überraschung ihrer Mutter:
«Meinst du nicht, ich habe mich vorher informiert, wie das dort ist? Ich bin schon vorsichtig, du hast mich doch schließlich erzogen. Oder meinst du, das habe ich wegen der Freundin vergessen?»
Machen Sie keine Stimmung gegen die Freunde und Freundinnen Ihres Kindes, aber äußern Sie Ihre Sorgen und Ängste! Vertreten Sie Ihre Meinung! Doch vertrauen Sie auch auf das emotionale Band, das Sie mit Ihren Kindern vereint.
Freundschaften sind ein bedeutsames Experimentierfeld für eigenständiges Verhalten. Sie bedeuten eine Gegenwelt zum familiären Rahmen, in der man elterliche Ansichten, Werte und Normen konterkarieren kann.
Im Kontakt mit Gleichaltrigen können Jugendliche Kompetenzen zeigen, Verantwortung übernehmen und Anerkennung erhalten. Man kann sich an Gleichaltrigen, in der Auseinandersetzung mit Freunden behaupten. Jugendliche müssen sich durchsetzen, manchmal Führungsaufgaben übernehmen, dann wieder die zweite Geige spielen, mithin verschiedene Rollen durchspielen.
Doch auch hier gilt ein individueller Rhythmus: Die Heranwachsenden suchen sich die Freunde aus, manchmal früher, manchmal später – einige Jugendliche haben viele, andere wenige Freunde. Und dann gibt es nicht zuletzt Zeiten, wo der Pubertierende für sich allein sein will.
Freundschaften sind für die Entwicklung nur dann problematisch, wenn sie Emanzipation und Eigenständigkeit verhindern, d. h., in neue Abhängigkeiten führen. Dies betrifft insbesondere Heranwachsende, die in überbehütendem oder im Laisser-faire-Stil groß wurden. Überbehütete Kinder geraten nicht selten aus einer Abhängigkeit in die nächste. Gefühlsmäßig verwahrlosten Kindern kann die Clique zum Familienersatz werden.
Die Suche nach eigenen Werten
Die Pubertät ist eine Zeit des Experimentierens mit Wertvorstellungen und Haltungen: Jugendliche äußern nicht selten Extremes, schockieren und provozieren ihre Eltern mit gewaltverherrlichenden und menschenverachtenden Meinungen. Sie inszenieren ihr Anderssein am Körper, attackieren ihre Eltern als Spießer und Kleinbürger. Viele Mütter und Väter haben am Ende den Eindruck, ihre ganzen Erziehungsbemühungen seien umsonst gewesen. Doch gemach: Um zu einer bewussten Sicht auf die Wirklichkeit zu gelangen, müssen sich Heranwachsende in das Land der Schatten und des Grauens begeben und sicheinen Begriff des Bösen machen. Wer nur die Harmonie, das Gute, kennenlernt, bleibt ein armer Mensch, spürt, dass ihm etwas vorenthalten wurde.
Auch bei der Berufsfindung ist der Rat Außenstehender nicht selten hilfreicher als die Meinung der Eltern, die von Heranwachsenden häufig vorschnell als Zwang gedeutet wird. Heranwachsende brauchen Zeit, um Vorstellungen davon zu entwickeln, wo ihre Interessen und Schwerpunkte liegen. Manchmal sind Auszeiten zwischen Schulabschluss und beruflichem Einstieg wichtig, um sich treiben zu lassen.
Wenn Eltern ihren Kindern dann Rat erteilen, ist es wichtig, sich zu fragen, ob die Kinder elterliche Aufstiegswünsche erfüllen sollen. Entscheidend ist aber nicht, was Eltern möchten, wichtiger ist, was der Heranwachsende will.
Loslassen der Eltern
Die zuvor genannten Entwicklungsaufgaben
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